Ende Oktober, haben sie gesagt, ausnahmsweise...

... und siehe da, ich habe DIE STEUER FÜR 2011 FERTIG.
Meine und die von dem Mann.
Ich kriege wahrscheinlich 34 Euro zurück, wenn alles klappt.
Und zahle 2011 immer noch keine Einkommenssteuer; ich muß echt meine Preise erhöhen. Dafür zahlt der Mann 2011 signifikant Einkommenssteuer.
Wir hätten geheiratet haben sollen.
Ehen sind aus irgendeinem Gund ja förderungswürdig, wenn auch nur bei deutlicher Einkommensdifferenz . WTF?

Ich bin ja eine große Freundin von Steuern. Also das Konzept "Wir legen alle zusammen, jeder nach seinen Möglichkeiten, und leisten uns davon eine schicke Infrastruktur" sagt mir extrem zu.
Und theoretisch sogar auch von komplexem Steuerrecht, von Progression sowieso, aber auch von allen möglichen anderen Zusatzregelungen, mit denen man ein Finetuning versucht (...und in der Praxis ein wildes Durcheinander und eine Riesenmenge zusätzlicher Ungerechtigkeiten, versteckter Subventionen und unerwünschter Nebeneffekte erzeugt).

Aber ich hasse diesen Kampf mit den Rubriken der Formulare, die Zweifel, wenn etwas durchs Raster fällt und ich nicht weiß, wo es hingehört, und die zusätzliche Wut, wenn die verschiedenen Softwares mich daran hindern, es so einzutragen, wie es mir noch am wenigsten falsch vorkommt.
Wenn ich als selbständige Handwerkerin mit Gewerbebetrieb nebenbei 169 Euro als Komparsin verdient habe, ist das dann gewerblich? Freiberuflich? Nichtselbständig? Und die 41 Euro Bahnfahrtkarte, die ich gekauft habe, um das tun zu können, ist das dann Werbungskosten oder Weg zur Arbeit oder was? Auf was für ein verdammtes Buchungskonto muß die GEZ-Gebühr für mein Werkstattradio? Und warum krieg ich Umsatzsteuer zurück, obwohl sich gegenüber meinen Voranmeldungen keine Änderungen ergeben haben? Weil die immer 2 Monate versetzt abgebucht werden oder weil ich was falsch gemacht habe?

Ich will keine Beratung dazu, was vorteilhaft ist, und ich will erst recht keine Tricks. Ich möchte einfach nur hier sitzen.

Ich finde einfach nur, es ist der Job des Staates, der meine Steuern haben will bzw.. mich zur Eintreiberin seiner Umsatzsteuer macht, mir diese Kämpfe zu ersparen.
Mein Finanzamt sollte Arbeitsplätze schaffen, und zwar nicht nur in Form einer Riesenschar von Steuerprüfern (dafür!), sondern vor allem in Form von VIELEN GEDULDIGEN Mitarbeitern, wo ich hingehen kann und mein Einkommen erklären (aber verbal), unter Vorlage meiner Belege, und sie tragen das dann ein und übersetzen es in Formulare.
Jawoll.
Muriel (Gast) - 29. Okt, 23:25

Du weißt ja eh schon, was ich sagen will, aber das hält mich nicht auf. Nicht mal, dass Twoday auf dem Telefon ein Albtraum ist, hält mich auf.
"Ich bin ja eine große Freundin von Steuern. Also das Konzept "Wir legen alle zusammen, jeder nach seinen Möglichkeiten, und leisten uns davon eine schicke Infrastruktur" sagt mir extrem zu."
Und du findest wirklich nicht, dass das zwei völlig verschiedene Konzepte sind? Ich meine jetzt "Wir legen alle zusammen" und "Wir zwingen einige von uns, bestimmte Summen zu zahlen, die ein paar andere von uns festlegen, und wenn sie das nicht machen,nehmen wir es mit Gewalt und sperren sie ein" unterscheiden sich für mich ganz dramatisch und ganz grundlegend.

Und von dieser Idee, dass das Finanzamt Arbeitsplätze schaffen soll, kann ich jetzt die ganze Nacht nicht schlafen.
Trotzdem freue ich mich, dass du mal wieder was geschrieben hast. So sehr mag ich dich.

madove - 30. Okt, 00:26

Du weißt ja auch, was ich antworte. Und ich bin eigentlich schon im Bett. Aber der Vollständigkeit halber:
Ich verstehe Dein Problem mit dem Zwingen ja. Aber ich verstehe nicht, inwiefern die Abwesenheit von Regeln und auch gemeinsam nach Regeln finanzierter Infrastruktur automatisch weniger Zwang darstellt, insgesamt gerechnet. Wir haben irgendwelche Bedürfnisse, und wir MÜSSEN auf diesem Planeten, in diesem Land, in irgendeiner Kommune ZUSAMMENleben, und schränken unsere Freiheiten dabei sowieso gegenseitig ein. Wenn wir das anarchistisch/neoliberal machen, machen halt die Stärkeren und vor allem die Skrupelloseren die anderen platt. Ich seh einfach den Vorteil nicht, gegenüber der Idee "Wir bestimmen gemeinsam (~demokratisch), was wir für gerecht/zumutbar/wünschenwert halten".
Daß die Umsetzung (und auch die Struktur von zB Mehrheitsentscheidungen) extrem zu wünschen übrig läßt, brauchst Du einer Berufsdemonstrantin nicht zu sagen. Besserer, gerechterer, anderer Staat, dringend. Aber ich verstehe einfach den Reiz von WENIGER Staat nicht, weder praktisch noch moralisch. Übrigens unter anderem auch aufgrund der von Dir so wunderbar dargelegten Probleme mit dem Konzept und der Genese des Privateigentums, zB...
Wie hättest Du's denn gerne, wie stellst Du Dir die bessere Lösung denn vor?

Ich hoffe, Du kannst trotzdem schlafen ;-) und fühl mich geehrt.
Muriel (Gast) - 30. Okt, 08:45

Wenn wir das anarchistisch/neoliberal machen, machen halt die Stärkeren und vor allem die Skrupelloseren die anderen platt.
Das sagst du so. Ich halte das für eine unvollständig begründete Annahme. Du unterschätzt in meinen Augen ironischer Weise den Wert von Kooperation und Moral. Und du bleibst meines Erachtens auch (Das hatten wir allerdings schon.) eine Begründung schuldig, inwiefern eine demokratische Gesellschaftsordnung diese hoffnungslose Überlegenheit der Stärkeren und Skrupellosen ausgleichen soll. In meiner Vorstellung müsste sie das Problem eher noch verschärfen, denn Demokratie ermöglicht ja nun mal der Mehrheit, Minderheiten vorzuschreiben, wie sie zu leben haben, und ermöglicht den Starken, die Schwachen klein zu halten, indem sie sich selbst vom Staat unterstützen lassen und Regeln fördern, die die Schwachen nicht erfüllen können.
Aber ich verstehe einfach den Reiz von WENIGER Staat nicht, weder praktisch noch moralisch.
Ich würde halt zum Beispiel gerne von innen Folie an meine Fenster kleben dürfen, ohne damit einen Rechtsstreit mit Kosten in Höhe von mehreren tausend Euro auszulösen. Ich würde zum Beispiel gerne jedem selbst die Entscheidung überlassen, welche Verträge er mit wem schließt, sei es beruflich oder in Sachen Ehe. Ich würde gerne jedem selbst die Entscheidung überlassen, wie er sein Haus baut, welche Pflanzen er zu sich nimmt und ob er in seinem Computerspiel "fuck" sagt und spritzendes Blut zeigt, oder nicht.
Und ja (um noch mal auf das Thema Infrastruktur zurück zukommen), ich würde auch gerne jedem Einzelnen die Entscheidung überlassen, ob er Straßen, Autos, Kernkraftwerke, Solaranlagen, Windkraftwerke, Bahnschienen, physikalische Grundlagenforschung, gepanzerte S-Klasse-Fahrzeuge für Sigmar Gabriel, Flughäfen, die Flugbereitschaft für Anette Schavan, VW, Mercedes-Benz, den Staat Israel, die USA, den Krieg in Afghanistan und den in Syrien, den Spiegel und die Zeit, oder auch die Inhaftierung und Misshandlung von Leuten, die er gar nicht kennt, unterstützen will, oder lieber nicht.
Und ich würde ganz allgemein sehr gerne damit aufhören, Gewalt gegen Leute anzuwenden, die niemandem etwas zuleide tun, nur weil sie nicht so leben, wie wir das für richtig halten.
Wie hättest Du's denn gerne, wie stellst Du Dir die bessere Lösung denn vor?
Ich bin der Meinung, dass man nicht genau erklären muss, wie Baumwolle freiwillig geerntet werden soll, um gegen Sklaverei zu sein.
Ich denke, dass jede Maßnahme, die mit gewaltsamem Zwang durchgesetzt werden soll, detailliert begründet werden muss, und dass wir immer dann, wenn wir die Unvermeidlichkeit einer solchen Maßnahme nicht hieb- und stichfest darlegen können (Wie ich schrieb, bin ich ein großer Freund des schlichten Geeignet-erforderlich-verhältnismäßig-Schemas.), kein Recht haben, Gewalt gegen andere anzuwenden.
Ich sehe keinerlei vernünftigen Grund für die Annahme, dass der Bau von so offensichtlich nützlichen, um nicht zu sagen: unverzichtbaren Einrichtungen wie Straßen oder Schienen oder Kraftwerken nur möglich ist, wenn wir Leute mit Gewalt zwingen, sie zu finanzieren. Und wenn es tatsächlich nur mit Zwang möglich sein sollte, dann würde ich im Gegenzug wohl zu dem Schluss kommen, dass genug Leute im Gegensatz zu mir diese Einrichtungen für viel weniger nützlich und unverzichtbar halten als ich, und dass es womöglich nicht okay ist, sie trotzdem zu zwingen, diese Sachen für mich zu bezahlen, weil ich sie halt will, und sie aber nicht.

Hach. Das ist jetzt ein langer Text geworden. Ich schreibe mich bei sowas so schnell in Rage. Jetzt les ichs aber nicht noch mal durch und hoffe einfach, dass mir möglichst wenig peinliche Tippfehler unterlaufen sind und dass ich dich nrigends versehentlich beleidigt habe.
madove - 30. Okt, 09:40

Oh, danke für die ausführliche Antwort. Ich leiste mir den Luxus und antworte häppchenweise, weil ich ja eigentlich arbeiten soll, es aber auch nicht liegenlassen kann.
Zu dem ersten Block. Natürlich kann ich die Annahme nicht komplett belegen, weil es dazu imho keine Daten gibt. Sie erwächst aus meiner persönlichen Erfahrung, und dem, was ich für logisch halte. Ganz schlicht (und viel zu platt) hast du mir den Teppich eigentlich schon ausgerollt:

Du unterschätzt in meinen Augen ironischer Weise den Wert von Kooperation und Moral. Und du bleibst meines Erachtens auch (Das hatten wir allerdings schon.) eine Begründung schuldig, inwiefern eine demokratische Gesellschaftsordnung diese hoffnungslose Überlegenheit der Stärkeren und Skrupellosen ausgleichen soll.

Weil ich (im Gegensatz zu Deiner Annahme) glaube, daß die halbwegs moralischen und kooperativen Menschen in der deutlichen Mehrheit sind. Das ist zu platt, aber das triffts eigentlich.
Das Problem ist meines Erachtens, wenn ich 100 liebe kooperative Menschen habe, und einen, der kein Problem damit hat, unkooperativ zu sein, dann sind die ANDERN der Depp. Ob das jetzt ein Einbrecher ist, wegen dem alle ihre Türen abschließen müssen, oder ein Betrüger, wegen dem man bei allen Grschäften erstmal mißtrauisch werden muß, oder der EINE Typ in einer gut funktionierenden WG, der nicht spült und wegen dem alle anderen mehr spülen müssen.
KEINE Regeln sind (aller meiner Erfahrung im Kleinen und im Großen nach) äquivalent zu einer Steuer auf Moral und Kooperativität. Und vielleicht noch auf Dummheit, das wäre der einzige Vorteil.
Es sei denn, die moralischen und kooperativen schließen sich zusammen und verhindern das (so gut es geht).
madove - 30. Okt, 15:35

(2) Ich sehe überhaupt nicht, warum der Staat in irgendetwas reinreden sollte, was ich privat mache, also was zB meine Fenster, meine Kleidung, meinen Drogenkonsum oder meinen Sex angeht. Wo das der Fall ist, find ich es bekämpfenswert; ich halte es für absurde Überbleibsel von religiösen/feudalen Herrschaftsformen.
Und ich finde andererseits, daß er mich so gut es geht, vor gewaltsamen Übergriffen anderer schützen soll. Soweit sollten wir uns halbwegs einig sein.

Der interessante Punkt ist ja der wirtschaftliche, also "Verträge schließen", und der klingt ja bei Dir auch total logisch. Aber, und da warn wir auch schonmal, er trägt halt meines Erachtens NICHT der Tatsache Rechnung, daß es vorhandene Strukturen gibt, die in "unmoralischer" Weise dafür sorgen, daß Vertragspartner nicht gleichwertig sind. Und die das strukturell ausnutzen. Also da ist ein Unterschied, ob ich meinem Nachbarn, der halt nicht so helle ist, einmal auf dem Flohmarkt zwei Euro zuviel abknöpfe, oder ob ich strukturelle Armut ausnutze, um billige Arbeitskräfte zu haben.
Dir kommt der Vergleich mit "Sklaverei" bei Steuern und Staatsgewalt in den Sinn, mir eben eher, wenn ich an völlig freiwillige, vielleicht sogar enthusiastische Zustimmung zu zB miserablen Arbeitsverhältnissen denke, die mangels Alternative "freiwillig" angenommen werden. Wenn Strukturen sich durch Macht- und Marktgefälle ausbilden, statt direkt von Politik erzwungen zu werden, macht das den Zwang durch sie doch nicht weniger real.
Muriel (Gast) - 30. Okt, 18:54

Weil ich (im Gegensatz zu Deiner Annahme) glaube, daß die halbwegs moralischen und kooperativen Menschen in der deutlichen Mehrheit sind. Das ist zu platt, aber das triffts eigentlich.
Das kann ich natürlich so nicht hinnehmen. Das bildet keinen Gegensatz zu meiner Annahme. Ich sehe das genauso.
Das Problem ist meines Erachtens, wenn ich 100 liebe kooperative Menschen habe, und einen, der kein Problem damit hat, unkooperativ zu sein, dann sind die ANDERN der Depp.
Nur, wenn sie ihm gegenüber weiterhin lieb und kooperativ sind, und dann haben sies ja wohl irgendwie nicht anders gewollt...
Ob das jetzt ein Einbrecher ist, wegen dem alle ihre Türen abschließen müssen, oder ein Betrüger, wegen dem man bei allen Grschäften erstmal mißtrauisch werden muß, oder der EINE Typ in einer gut funktionierenden WG, der nicht spült und wegen dem alle anderen mehr spülen müssen.
Und der Staat hat Einbrecher, Betrüger und Leute in WGs, die nicht mit spülen, verhindert? Soweit ich sehe, gibt es die noch.
KEINE Regeln sind (aller meiner Erfahrung im Kleinen und im Großen nach) äquivalent zu einer Steuer auf Moral und Kooperativität. Und vielleicht noch auf Dummheit, das wäre der einzige Vorteil.
Das ist ein interessanter Vergleich, dem ich womöglich zustimmen würde, nachdem ich gründlich drüber nachgedacht habe. Es wäre jedenfalls völlig lächerlich, eine Gesellschaft ohne Regeln zu fordern.
Und ich finde andererseits, daß er mich so gut es geht, vor gewaltsamen Übergriffen anderer schützen soll. Soweit sollten wir uns halbwegs einig sein.
naja... Halbwegs insofern, als ich gerne gar keinen Staat im üblichen Sinne mehr hätte, aber natürlich durchaus weiterhin eine Institution für sinnvoll halte, die die Mitglieder einer Gesellschaft vor Übergriffen anderer schützt.
Aber, und da warn wir auch schonmal, er trägt halt meines Erachtens NICHT der Tatsache Rechnung, daß es vorhandene Strukturen gibt, die in "unmoralischer" Weise dafür sorgen, daß Vertragspartner nicht gleichwertig sind.
Es gibt immer eine Ungleichheit zwischen Vertragspartnern. Ich sehe daran nichts Unmoralisches.
Dir kommt der Vergleich mit "Sklaverei" bei Steuern und Staatsgewalt in den Sinn, mir eben eher, wenn ich an völlig freiwillige, vielleicht sogar enthusiastische Zustimmung zu zB miserablen Arbeitsverhältnissen denke, die mangels Alternative "freiwillig" angenommen werden.
Und ein Staat hätte das gewiss verhindert, wenn wir doch nur einen hät... Oh, hoppla.
Oder weniger albern: Nein, ich wollte nicht Steuern mit Sklaverei vergleichen. Ich finde nur den Standpunkt sehr naheliegend, dass das gleiche Recht für alle Menschen gelten sollte (was ein Sonderrecht für bestimmte Institutionen oder Gruppen ausschließt, wie ein Staat es erfordert) und dass niemand das Recht haben sollte, Gewalt gegen andere anzuwenden (das ein Staat für sich qua Rolle monopolisiert), solange nicht einwandfrei belegt ist, dass es wirklich nicht anders geht.
Ich verstehe das Problem mit dem doof verteilten Eigentum. Ich verstehe den Wunsch, das in Ordnung zu bringen. Ich teile ihn sogar. Ich verstehe nicht die selbstverständliche Annahme, dieses Ziel wäre nur oder am besten oder auch überhaupt mittels staatlichen Zwangs erreichbar.
Das ist wieder wie am Anfang: "Lass uns gemeinsam Regeln festlegen, nach denen wir leben wollen! " ist auch in meinen Augen eine gute und notwendige Idee.
"Lass einige von uns einen Monopolisten bestimmen, der Regeln für alle festlegt und sie dann mit Waffengewalt auch gegen die durchsetzt, die lieber nach anderen Regeln leben wollen!" ist in meinen Augen eine ganz, ganz fürchterliche Idee.

madove - 30. Okt, 20:10

Okay, generell versteh ich Dich jetzt besser. Oder so ähnlich.

Das kann ich natürlich so nicht hinnehmen. Das bildet keinen Gegensatz zu meiner
Annahme. Ich sehe das genauso.


Entschuldige, das war mißverständlich ausgedrückt. Ich meinte, Deine Annahme wäre, daß ICH das nicht glaube.

insofern, als ich gerne gar keinen Staat im üblichen Sinne mehr hätte, aber natürlich
durchaus weiterhin eine Institution für sinnvoll halte, die die Mitglieder einer Gesellschaft
vor Übergriffen anderer schützt.


Darunter kann ich mir überhaupt nichts vorstellen, vielleicht ist das mein Problem?

Mein Spaß an dieser Diskussion hält sich vor allem deshalb in Grenzen, weil es eigentlich nicht zu meinen Hobbies gehört, irgendeinen Staat zu verteidigen, sondern eher, ihn zu kritisieren. Insofern kann ich bei allem, was Du ankreidest, nur zustimmen.

Wenn ich Dich nach Deiner Vorstellung frage, dann ist das kein provokatives "Jetzt liefer mal eine Alternative", sondern es kommt daher, daß ich mir einfach keine habenswerte vorstellen kann, und eben nicht mal eine, die habenswerter ist als dieser hinkende, stinkende Mist von Staat, den wir haben.
Wie soll denn zB eine Wasserversorgung gehen, die allen Bewohnern bezahlbares Wasser zukommen läßt? Das ist ja nicht optional, da kann ich ja nicht gucken, ob vielleicht jemand was anbieten mag, oder so? Und was macht denn ein Markt mit einem Gut, auf das die Käufer lebensnotwendig und zeitnah angewiesen sind? Und was soll passieren mit Leuten, die zB nicht für sich selber sorgen können? Almosen? Falls vorhanden?
Oder wäre Dein Problem gelöst, wenn Du einfach ein opt-out hättest, so ein bißchen wie diese Friedensinitiative, die ihre Steuern anteilig um das kürzen will, was in den "Verteidigungs"haushalt geht? Und jeder zahlt nur für das, was ihn interessiert (Autobahnen - isch abe gar keine Auto, Schulen - keine Kinder, danke, etc...)? Abgesehen davon, daß ich denke, daß es dann eine Menge toller Infrastruktur und vor allem langfristiger Planung nicht geben würde (aber okay, dann halt nicht, egal) stellt sich dann wieder die Frage: Wer sorgt für die Schwachen?
Ja. Ich glaub eigentlich ist das meine wichtigste Frage. Und die, woran ich jeden Staat messen würde... *seufz* Ich geh dann mal demostrieren.
Muriel (Gast) - 30. Okt, 21:12

Entschuldige, das war mißverständlich ausgedrückt. Ich meinte, Deine Annahme wäre, daß ICH das nicht glaube.
Hätte ich eigentlich auch so verstehen müssen. Mein Fehler.
Wie soll denn zB eine Wasserversorgung gehen, die allen Bewohnern bezahlbares Wasser zukommen läßt? Das ist ja nicht optional, da kann ich ja nicht gucken, ob vielleicht jemand was anbieten mag, oder so? Und was macht denn ein Markt mit einem Gut, auf das die Käufer lebensnotwendig und zeitnah angewiesen sind? Und was soll passieren mit Leuten, die zB nicht für sich selber sorgen können? Almosen? Falls vorhanden?
Das ist doch aber gar kein neues Problem. Liefert unser Staat uns Brot, und Fleisch, und Nudeln, und Muffins?
Essen ist auch nicht optional, und trotzdem hatte ich noch nie ein Problem damit, einfach zu gucken, wer mir was anbietet. Andere Menschen versorgen mich freiwillig zu meiner vollen Zufriedenheit mit diesem Gut, auf das ich lebensnotwendig und zeitnah angewiesen bin.
Warum sollte das bei Wasser nicht funktionieren? Und warum sollte es mit einer Institution wie einem Staat besser funktionieren?
Und Leute, die nicht für sich selber sorgen können, können andere versorgen. Freiwillig. Es gibt ja auch heute Hilsorganisationen, und es gibt offensichtlich eine große Anzahl von Leuten, die es für richtig halten, Hilfsbedürftigen zu helfen. Glaubst du, die Bereitschaft dazu lässt nach, wenn es nicht mehr unter Gewaltandrohung gefordert wird?
Wir waren uns doch einig, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen grundsätzlich ganz okay ist.
Oder wäre Dein Problem gelöst, wenn Du einfach ein opt-out hättest, so ein bißchen wie diese Friedensinitiative, die ihre Steuern anteilig um das kürzen will, was in den "Verteidigungs"haushalt geht? Und jeder zahlt nur für das, was ihn interessiert (Autobahnen - isch abe gar keine Auto, Schulen - keine Kinder, danke, etc...)?
Mein hauptsächliches Problem wäre damit gelöst. Ob und wo ein opt-out-Quasistaat die bessere Lösung ist als ein ganz normales marktwirtschaftliches System, in dem Unternehmen eine Leistung gegen eine Gegenleistung anbieten, kann ich nicht mit Sicherheit sagen.
Wer sorgt für die Schwachen?
Wer sorgt denn jetzt für sie? Ich glaube nicht, dass es viele Menschen gibt, die ernsthaft meinen, dass wir Leute einfach verhungern lassen sollten, die nicht für sich selbst sorgen können. Und ich halte es für ziemlich plausibel, dass deren Beitrag mehr als ausgeglichen wird durch die besseren Möglichkeiten derer, die in ihrer Hilfsbereitschaft dann nicht mehr durch die Notwendigkeit behindert werden, Kriege und Flugbereitschaften und Kraftwerkssubventionen finanzieren zu müssen, von den versteckteren Kosten der Bürokratie ganz abgesehen.
Es mag ja auch sein, dass ich zu naiv bin, aber ich denke, wenn etwas offensichtlich für die ganze Gesellschaft eine gute Idee ist, sollte man Leute davon überzeugen können, es freiwillig zu tun. Ich würde das einsehen, und du vermutlich auch, und obwohl ich natürlich der Überzeugung bin, dass wir beide ganz besonders fantastische Menschen sind, halte ich es doch für möglich, dass auch andere so viel Vernunft und Güte aufbringen würden. Oder um es mit Penn Jillette zu sagen:
"Helping poor and suffering people yourself is compassion. Voting for our government to use guns to give money to help poor and suffering people is immoral self-righteous bullying laziness. People need to be fed, medicated, educated, clothed and sheltered. If we're compassionate, we'll help them, but you get no moral credit for forcing other people to do what you think is right. There is great joy in helping people, but no joy in doing it at gunpoint."
Ich würde dem noch hinzufügen, dass es ja sogar ganz handfeste materielle Vorteile hat, die Armen und Hilfsbedürftigen zu unterstützen. Erstens kann jeder von uns selbst mal arm und hilfsbedürftig sein, zweitens haben wir alle was davon, wenn möglichst viele Menschen in durch Bildung und Medizin und so weiter in die Lage versetzt werden, ihren Beitrag zur Gesellschaft zu leisten.

Und um das auch noch mal zu ergänzen, obwohl ich es schon mal bei mir irgendwo geschrieben hatte: Ich bilde mir natürlich nicht ein, dass das sofort klappen würde, wenn man heute Nacht um 23:59 Uhr sämtliche Staaten auflösen und um Mitternacht am 31. 10. mit Anarchie anfangen würde. Die Menschheit ist ein sehr träges, lernresistentes Pack (Ja, ich auch.), und wir haben Jahrzehntausende von Obrigkeit hinter uns, vom Häuptling über Pharaonen und Könige und Kaisern zu Präsidenten und Abgeordneten und Kanzlern. Es wäre gewiss ein langer, mühsamer Prozess eine Gesellschaft an die Idee zu gewöhnen, dass jeder Einzelne von uns Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere trägt, dass wir nicht das Recht haben, anderen ihr Leben vorzuschreiben, und dass wir gute Entscheidungen auch treffen können, ohne dass andere uns dazu zwingen.
madove - 30. Okt, 21:51

Ich stehe ja Utopien, vor allem welchen, die von einem so netten Menschenbild ausgehen, ziemlich wohlwollend gegenüber.

Und ich muß zugeben, daß alle schrecklichen Dinge, die mir einfallen, nicht in staatenlosen Situationen stattfinden (ich kenne nämlich keine), sondern sich auf Dinge beziehen, die der jeweilige Staat eben nicht regelt oder seine Regeln nicht durchsetzt (oder die er sogar noch gutheißt).
Aber ich habe den Eindruck, daß Menschen einerseits durchaus fröhlich Kinderarbeit oder "normale" Ausbeutung praktizieren, Urwälder abholzen, Giftmüllabfälle irgendwohin kippen, beliebige an Betrug oder Körperverletzung grenzende Dinge mit dem Essen machen, das sie mir verkaufen etc., wenn man sie nicht daran hindert. Und ich frag mich halt, wer soll sie daran hindern, wer soll sie kontrollieren, und wie? Muß ich mir eine Privatmiliz zulegen, und noch stärkere Gewerkschaften und Verbaucherschutzverbände, die dann gelegentlich mal einen Fabrikbesitzer verkloppen? Und ein paar Neger lynchen? Da würd ich einen Rechtsstaat vorziehen.

Hach, und hinter der Idee mit der staatlichen Armenversorgung stehen halt schon ein paar wünschenswerte Gedanken, sowas wie ein Rechtanspruch statt bettlerischer Kriecherei, und das geht dann wieder in Richtung Menschenwürde, das ist ein andere Thema.

Wir drehn uns im Kreis. Aber so einmal im Jahr muß wohl.
Muriel (Gast) - 30. Okt, 22:13

Ich muss natürlich fairerweise zugestehen, dass es für mich sehr bequem ist zu sagen, alle schlimmen Dinge seien trotz Staaten passiert, einfach weil es noch nie eine anarchische Gesellschaft irgendwo gegeben hat.
Aber andererseits frage ich mich schon, woher die Annahme kommt, der Staat sei tendenziell besser als seine Bürger. Warum sollte er? Welchen Vorteil hat der Staat denn, abgesehen von den Panzern und den Maschinengewehren? Hier sage ich es jetzt doch wieder: Die Gesellschaften, in denen Kinderarbeit und Abholzung von Urwäldern und Lynchmorde ablaufen, haben doch auch Staaten, die teilweise die Missstände nicht nur nicht bekämpfen und nicht nur begünstigen, sondern sie geradezu erzwingen.
Hach, und hinter der Idee mit der staatlichen Armenversorgung stehen halt schon ein paar wünschenswerte Gedanken, sowas wie ein Rechtanspruch statt bettlerischer Kriecherei, und das geht dann wieder in Richtung Menschenwürde, das ist ein andere Thema.
Verstehe ich nicht.
Menschen können doch genauso freiwillig einen Anspruch gewähren.
Ist es würdevoller für mich, wenn ich meine Versorgung von Leuten bekomme, die mit Waffengewalt dazu gezwungen werden, als wenn mir freiwillig jemand hilft?
Und was ist das überhaupt für eine merkwürdige Idee, dass es mich entwürdigt, wenn ich jemanden um Hilfe bitte?
Wenn ich mir nicht selbst helfen kann, und jemand anderen darum bitte, und er mir hilft, das stellt meine Menschenwürde infrage, aber wenn er es stattdessen tut, weil jemand mit einem Gewehr ihn dazu zwingt, dann fühle ich mich gut dabei?
Wie machst du denn das, wenn du möchtest, dass jemand dir hilft? Und wie magst du es lieber, wenn jemand deine Hilfe möchte?

Oder ein bisschen weniger polemisch: Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen (vielleicht du ja nicht, da will ich mir kein Urteil anmaßen) den Staat irgendwie grundlegend anders beurteilen als andere Menschen und sich selbst. Was bei jedem Individuum widerliches und rüpelhaftes Verhalten wäre, gilt plötzlich als völlig legitim, sobald der Staat es tut. Ich verstehe das nicht.
Entweder ist etwas okay, oder es ist nicht okay. Warum sollte es eine Rolle spielen, wer es tut?

Muriel (Gast) - 30. Okt, 22:21

Oder vielleicht noch mal anders:
Du denkst, Menschen sollten eine gewisse Grundversorgung erhalten, auch wenn sie derzeit keine Gegenleistung anbieten können. Ich denke das auch. Mir scheint, das denken sehr, sehr viele Menschen in diesem Land.
Was hält uns davon ab, einen Verein zu gründen, der genau diese Grundversorgung gewährleistet, meinetwegen als Rechtsanspruch?
Wozu brauchen wir einen Staat, um das zu tun?
Oder glaubt du, dass es nicht genug Leute gibt, die das so sehen?
madove - 30. Okt, 22:51

Ich will dich ja wirklich nicht auf irgendwas festlegen, um es dann zerpflücken zu können (also, doch, auch, aber das würd ich nie zugeben), aber ich versteh echt nicht, was die Alternative ist, also womit ich mich gerade auseinandersetze.
Vielleicht haben wir ein Begriffsproblem?

Ich meine mit Staat eine Konstruktion, in der wir uns gemeinsam (also im Moment repräsentativ-mehrheitsdingens, aber vielleicht geht das ja auch besser?) auf Regeln und Rechte und Pflichten einigen, und die wir mit der Umsetzung derselben beauftragen, rechtsstaatlich kontrolliert und so.

Was ist denn Dein Ding mit der Waffengewalt? In meiner Wahrnehmung ist die Sache mit dem Gewaltmonopol ein Fortschritt gegenüber dem Ausgangszustand, daß wir uns alle gegenseitig verkloppen. Und Rechtsstaatsprinzip sollte doch bedeuten, daß Sachen eben nicht legitim sind, nur weil der Staat sie tut?

Ich bin die letzte, die den Eindruck hat, daß das im Moment so umgesetzt wird. Ich habe genug Freunde, die schonmal Spaß mit willkürlicher Polizeigewalt hatten. Und im privaten Rahmen käme hier noch die wenig erbauliche Geschichte meines Vaters und seiner zahlreichen (immerhin gewonnenen) Prozesse vor Verwaltungsgerichten.
Wahrscheinlich ist mein Staat mindestens so utopisch wie Dein... Dings. Aber die Idee funktioniert in meinem Kopf super :-) Und zB das Grundgesetz geht in die richtige Richtung.

[Ich finde schon, daß es einen Unterschied macht, ob Du um Deine Unterstützung bitten mußt. Und ich finde, daß es keinen Unterschied machen darf, wie entzückend und sympathisch und mitleiderregend Deine Bedürftigkeit aussieht und ob Du hübsch Pfötchen gibst. Sondern ich finde, es hat andersrum niemand ein Recht auf die zweite Million, solange irgendjemand anderes nicht heizen kann.
-> Rechtsanspruch. ->Steuern. Sorry.
Aber das wäre eben meine politische Agenda. Wenn ich sie nicht durchkriege, ist das Pech, in der Demokratie.]
madove - 30. Okt, 22:55

[Hm? Wie kann ein Verein einen Rechtsanspruch gewähren? Du bist doch der Jurist?
Und dann profitieren alle (von dem sozialen Frieden und bla), und es zahlen nur die Netten, Mitleidigen, und die Egoisten haben einen doppelten systemischen Wettbewerbsvorteil. Das ist auch das Problem an dem tollen zivilgesellschaftlichen Engagement.]
Muriel (Gast) - 31. Okt, 09:00

Du hast Recht. Ich glaube auch, dass wir größtenteils ein Begriffsproblem haben.
Ich meine mit Staat eine Konstruktion, in der wir uns gemeinsam (also im Moment repräsentativ-mehrheitsdingens, aber vielleicht geht das ja auch besser?) auf Regeln und Rechte und Pflichten einigen, und die wir mit der Umsetzung derselben beauftragen, rechtsstaatlich kontrolliert und so.
Aber so einen Staat gibt es nicht. "Wir" haben uns nicht "geeinigt". Ich habe diesem System niemals zugestimmt, und du auch nicht, und auch sonst niemand, den ich kenne. Wir wurden nie gefragt.
Natürlich ist es viel praktischer, das so zu machen. Ist immer praktischer, wenn man die eigene Position zwangsweise durchsetzen kann, ohne mit anderen diskutieren zu müssen. Aber legitim wird es dadurch noch nicht.
Was ist denn Dein Ding mit der Waffengewalt? In meiner Wahrnehmung ist die Sache mit dem Gewaltmonopol ein Fortschritt gegenüber dem Ausgangszustand, daß wir uns alle gegenseitig verkloppen.
Die Waffengewalt ist doch das Einzige, was den Staat auszeichnet. Das Gewaltmonopol. Und natürlich gibt es Zustände, gegenüber denen das Gewaltmonopol eines einigermaßen vernünftigen Rechtsstaates ein großer Fortschritt ist. Aber ich denke eben, dass es von diesem Gewaltmonopol immer noch dramatisches Potenzial zur Verbesserung gibt.
Ich finde schon, daß es einen Unterschied macht, ob Du um Deine Unterstützung bitten mußt.
Welchen? Inwiefern? Und wie soll der Staat das machen? Soll er einfach unaufgefordert jedem Bürger die Hilfe schicken, egal ob der sie will oder nicht? In allen mir bekannten Staaten muss man die Unterstützung in irgendeiner Form beantragen.
Aber ich glaube, ich verstehe schon. Das ist hier auch wieder so ein Begriffsdings. Es geht dir darum: Und ich finde, daß es keinen Unterschied machen darf, wie entzückend und sympathisch und mitleiderregend Deine Bedürftigkeit aussieht und ob Du hübsch Pfötchen gibst. Finde ich auch.
Und Rechtsstaatsprinzip sollte doch bedeuten, daß Sachen eben nicht legitim sind, nur weil der Staat sie tut?
Der Staat ist auch an Recht gebunden, ja. Aber er hat trotzdem Sonderrechte. Zum Beispiel:
Hm? Wie kann ein Verein einen Rechtsanspruch gewähren? Du bist doch der Jurist?
Dafür braucht man nicht mal einen Verein. Jeder von uns kann das. Ich kann jetzt und hier sagen, dass ich mich verpflichte, jedem Menschen mit einem Einkommen unter X Euro Y Euro pro Monat zu zahlen. Zum Beispiel, jetzt mal ganz dumm gedacht.
Was der Verein nicht kann, und was ich auch nicht kann, ist, andere zu verpflichten, das zu zahlen. Das kann nur ein Staat. Und genau das ist in meinen Augen das Problem. Niemand sollte das Recht haben, andere Menschen gegen ihren Willen zu irgendwas zu verpflichten.
Und dann profitieren alle (von dem sozialen Frieden und bla), und es zahlen nur die Netten, Mitleidigen, und die Egoisten haben einen doppelten systemischen Wettbewerbsvorteil. Das ist auch das Problem an dem tollen zivilgesellschaftlichen Engagement
Nur, wenn man als Gesellschaft keine vernünftige Regelung findet, mit diesem Problem umzugehen. Das ist unter Umständen anstrengend. Viel anstrengender als die einfache Lösung "Wir bedrohen die Egoisten, damit sie auch mitmachen", aber ethisches Verhalten ist eben häufig anstrengender als unethisches. Kurzfristig zumindest. Langfristig zahlt es sich aus.

madove - 31. Okt, 22:36

[[Wie machst Du eigentlich diese Einrückungen? Bei mir klappt das irgendwie nicht?]]

"Wir" haben uns nicht "geeinigt". Ich habe diesem System niemals zugestimmt, und du auch nicht, und auch sonst niemand, den ich kenne. Wir wurden nie gefragt.
Natürlich ist es viel praktischer, das so zu machen. Ist immer praktischer, wenn man die eigene Position zwangsweise durchsetzen kann, ohne mit anderen diskutieren zu müssen.


Mit dem Ersten hast Du natürlich recht, das ist ein echter Punkt. Ich empfinde es als nicht so drastisch, weil ich mir ja eine ganze Menge an Dingen nicht ausgesucht habe, also zB generell so mit all diesen anderen Leuten hier zu leben, und die Sprache, und das Geld, und die Kultur und so. Und eben, und das ist das zweite, weil ich den Eindruck habe, theoretisch (also wenn er nicht kaputt oder korrupt oder so ist, sondern tatsächlich demokratisch), den Staat in halbwegs angemessener Weise mitbestimmen zu können, also genauso sehr wie alle anderen, und nicht unterschiedlich, je nachdem, wie feste ich zuschlagen oder wieviel ich kaufen kann. Theoretisch.......
Und wie meinst Du, ohne diskutieren zu müssen? Es wird doch die ganze Zeit diskutiert, im Parlament, in den Medien, vor Gericht?
(Hilfe? Warum klingt das überhaupt nicht sexy? Und warum höre ich mich an wie mein Gemeinschaftskundelehrer? Irgendwas läuft hier schief.)

Aber ich denke eben, dass es von diesem Gewaltmonopol immer noch dramatisches Potenzial zur Verbesserung gibt.

Du weckst immer diese hungrige Neugier nach guten Utopien in mir...

Welchen [Unterschied]? Inwiefern? Und wie soll der Staat das machen? Soll er einfach unaufgefordert jedem Bürger die Hilfe schicken, egal ob der sie will oder nicht? In allen mir bekannten Staaten muss man die Unterstützung in irgendeiner Form beantragen.

Der (dramatische) Unterschied ist, ob ich was beantrage, was mir zusteht und was ich ggf einklagen kann, oder ob ich bitten und hoffen und untertänigst dankbar sein muß. Falls ichs überhaupt kriege. Und wenn nicht ist halt Pech.

Dafür braucht man nicht mal einen Verein. Jeder von uns kann das. Ich kann jetzt und hier sagen, dass ich mich verpflichte, jedem Menschen mit einem Einkommen unter X Euro Y Euro pro Monat zu zahlen. Zum Beispiel, jetzt mal ganz dumm gedacht.

Das ist jetzt vllt. Erbsenzählerei, aber: wut? echt? Dann hab ich doch immer noch keinen Rechtsanspruch gegen Dich? Was soll ich denn machen, wenn Du's mir nicht zahlst? Im schlimmsten Fall verstößt Du gegen Deine Statuten, und verlierst vielleicht noch Deinen Anspruch auf Gemeinnützigkeit oder so, wenn das Ganze in einem Staat wie unserem stattfindet. Und wenn nicht, wüßt ich ja nichtmal, bei wem ich Dich verklagen soll?

Nur, wenn man als Gesellschaft keine vernünftige Regelung findet, mit diesem Problem umzugehen. Das ist unter Umständen anstrengend. Viel anstrengender als die einfache Lösung "Wir bedrohen die Egoisten, damit sie auch mitmachen", aber ethisches Verhalten ist eben häufig anstrengender als unethisches. Kurzfristig zumindest. Langfristig zahlt es sich aus.

Du weckst immer diese h ...-ah, das hatte ich schon.
Jetzt. Schlafen.
Muriel (Gast) - 1. Nov, 14:20

[[Wie machst Du eigentlich diese Einrückungen? Bei mir klappt das irgendwie nicht?]]
Einfach mit dem Blockquote-Tag wie bei Wordpress auch.
Ich empfinde es als nicht so drastisch, weil ich mir ja eine ganze Menge an Dingen nicht ausgesucht habe, also zB generell so mit all diesen anderen Leuten hier zu leben, und die Sprache, und das Geld, und die Kultur und so
Ja, gut, es gibt immer noch was Schlimmeres.
nd eben, und das ist das zweite, weil ich den Eindruck habe, theoretisch (also wenn er nicht kaputt oder korrupt oder so ist, sondern tatsächlich demokratisch), den Staat in halbwegs angemessener Weise mitbestimmen zu können, also genauso sehr wie alle anderen, und nicht unterschiedlich, je nachdem, wie feste ich zuschlagen oder wieviel ich kaufen kann. Theoretisch.......
Ich weiß nicht mal, ob ich dem theoretisch zustimme. Zwar bestimmen alle Wähler theoretisch gleich mit, was allerdings bei Staaten mit Millionen Bürgern bedeutet, dass sie alle gleich so gut wie gar nicht mitbestimmen, und sogar theoretisch bleibt ja der Einfluss der Abgeordneten, der Regierung, der Richter und solcher Leute endlos viel größere als der der Wähler.
Darüberhinaus finde ich persönlich darin auch keinen Trost. Auch in einer WG, in der alle gleichberechtigt abstimmen, hätte ich ein Problem damit, wenn drei von denen gegen den Willen der beiden anderen entscheiden, dass alle gemeinsam zu gleichen Teilen den DSL-Anschluss mitbezahlen, ganz egal ob sie ihn nutzen oder nicht, und dass die, die sich weigern, im Keller eingesperrt werden.
Und wie meinst Du, ohne diskutieren zu müssen? Es wird doch die ganze Zeit diskutiert, im Parlament, in den Medien, vor Gericht?
Du hast Recht, das war schluderig formuliert. Es wird durchaus diskutiert, aber es spielt keine Rolle, wenn nicht alle überzeugt sind. Niemand muss sich daran stören, dass ich Steuern doof finde. Mir wird gesagt, wie viel ich zu bezahlen habe, und wenn ich das nicht mache, kommen die Männer mit den Hunden und den Schusswaffen. (Ich kann mir vorstellen, dass es ein bisschen nervt, dass ich permanent darauf rumreite, aber ich finde erstens, dass die Waffe als letztes Argument des Staates in der Argumentation seiner Befürworter viel zu gerne verschwiegen wird, und zweitens waren die auch wirklich schon bei mir zu Hause und sind mir deshalb sehr präsent. War toll, während des Studiums einfach mal ein Dreivierteljahr nicht mehr auf den Computer zugreifen zu können, weil er beschlagnahmt war.)
Hilfe? Warum klingt das überhaupt nicht sexy? Und warum höre ich mich an wie mein Gemeinschaftskundelehrer? Irgendwas läuft hier schief.
Naja. Ich glaube, dass du schon Recht hast, dass wir in vieler Hinsicht gar nicht so unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie eine Gesellschaft vernünftigerweise aussehen soll, aber ich habe die bequeme Position inne, gegen etwas real Existierendes argumentieren zu können, während du unglücklicherweise etwas verteidigen musst, von dem du selbst auch glaubst, dass es blöd ist, aber hoffst, dass man es besser machen könnte.
Du weckst immer diese hungrige Neugier nach guten Utopien in mir...
Vielleicht schreib ich mal was. Aber ich leide unter Angstzuständen, wenn ich nur dran denke, weil ich dann immer fürchte, ich könnte wie Ayn Rand klingen. Sagen wir mal so: Viele Kommunisten glauben ja auch, dass man den Staat nicht mehr braucht, wenn die Revolution erst mal wirklich abgeschlossen ist. Da bin ich so liberal, dass ich schon wieder linksextrem um die Ecke gucken kann, oder so...
Der (dramatische) Unterschied ist, ob ich was beantrage, was mir zusteht und was ich ggf einklagen kann, oder ob ich bitten und hoffen und untertänigst dankbar sein muß. Falls ichs überhaupt kriege. Und wenn nicht ist halt Pech.
Aber das ist nicht der Unterschied zwischen Staat und Keinstaat.
Das ist der Unterschied zwischen Anspruch und Keinanspruch. Beides geht mit, und beides geht ohne Staat. Wenn der Staat deinen Anspruch nicht gewährt, ist genauso Peche, wie wenn es andere nicht tun. Der Staat ist doch auch einfach nur ein Akteur. Das meine ich mit der Sonderrolle, die viele Menschen dem Staat zuweisen, und die ich nicht richtig verstehe.
Das ist jetzt vllt. Erbsenzählerei, aber: wut? echt? Dann hab ich doch immer noch keinen Rechtsanspruch gegen Dich? Was soll ich denn machen, wenn Du's mir nicht zahlst? Im schlimmsten Fall verstößt Du gegen Deine Statuten, und verlierst vielleicht noch Deinen Anspruch auf Gemeinnützigkeit oder so, wenn das Ganze in einem Staat wie unserem stattfindet. Und wenn nicht, wüßt ich ja nichtmal, bei wem ich Dich verklagen soll?
Ach, so meinst du. Hm... Lass mich mal sehen, wie ich mit vertretbarem Aufwand für uns beide erkläre, wie ich das sehe.
1. Du hast Recht, dass in unserem Staat ein solches Versprechen in einem Blogkommentar sicher nicht einklagbar wäre. Aber ich könnte mich wirksam dazu verpflichten, wenn ich wirklich wollte.
2. Die Einklagbarkeit. Was ist denn das? Die Möglichkeit, eine gegebene Zusage gewaltsam durchzusetzen. Womit wir wieder bei der Sonderrolle des Staates sind. Was macht der denn besser an der Situation, abgesehen davon, dass ihm einfach qua Überzahl und besserer Ausrüstung niemand was entgegenzusetzen hat, wenn es an eine gewaltsame Auseinandersetzung geht? Wenn es darum geht, jemanden zu haben, mit dem es an schierer Gewalt niemand aufnehmen kann, dann ist ein Staat in der heutigen Form vielleicht wirklich eine gute Idee, zumindest innerhalb seiner Grenzen. In der Beziehung zu anderen Staaten wird der Rückgriff auf Gewalt dann für jeden ersichtlich ... unerfreulich.
Aber was hält denn Menschen in einer voluntaristischen Gesellschaft davon ab, einen Mechanismus für die Schlichtung von Disputen einzurichten, und einen für die Durchsetzung von Forderungen?
Das meinte ich oben damit, dass es natürlich erst mal einfacher ist mit staatlichen Mitteln. Man muss niemanden überzeugen, sich einer solchen Institution zu unterwerfen, weil es schon eine Institution gibt, die mächtig genug ist, diese Unterwerfung auch von denen zu erzwingen, die sie nicht wollen.
Ist das einfacher als eine freiwillige Lösung? Wahrscheinlich.
Ist es deshalb wünschenswert oder ethisch vertretbar? Ich glaube, nicht.
3. Wen verklagst du, wenn unser Staat dir den Anspruch verweigert? Ich meine jetzt den Staat als Ganzes. Wenn du vor dem BVerfG standest und die Richter dir gesagt haben: Vergiss es, madove. Wen verklagen die Leute, die wegen Inzest oder Drogenbesitz inhaftiert sind?
Ein Anspruch hängt letzten Endes immer davon ab, ob jemand bereit ist, ihn mir zu gewähren. Der Staat kann dieses Problem (wenn man es als solches empfindet) nicht aushebeln. Der Staat ist nichts anderes als eine Gruppe von Menschen, eine Institution. Wie jeder Mensch und wie jede Institution kann ein Staat Versprechungen machen, und er kann Mechanismen schaffen, die gewährleisten sollen, sich daran zu halten. Aber kann er das besser als andere Gruppen und andere Institutionen?
Deswegen reite ich immer auf den Waffen und der Gewalt rum. Ich sehe keinen anderen Unterschied zwischen dem Staat und anderen Institutionen, halt abgesehen davon, dass der Staat seine Vorstellungen mit Gewalt durchsetzt, während andere das nicht können, wollen oder dürfen, oder so.
madove - 3. Nov, 13:26

Hmpf. Das ist etwa so der Punkt, wo ich einerseits den Eindruck habe, jetzt sprengts allmählich den Rahmen und meine Ausdauer, und wo es andererseits interessant wird, weil die kaum hinterfragten Konzepte soweit durch sind, zumindest auf meiner Seite.
Ich weiß nicht mal, ob ich dem theoretisch zustimme. Zwar bestimmen alle Wähler theoretisch gleich mit, was allerdings bei Staaten mit Millionen Bürgern bedeutet, dass sie alle gleich so gut wie gar nicht mitbestimmen, und sogar theoretisch bleibt ja der Einfluss der Abgeordneten, der Regierung, der Richter und solcher Leute endlos viel größere als der der Wähler.
Die erste Hälfte ist richtig, ist aber ein generelles Problem, ich bin halt nur 80Mio-stel, mehr gips nich. Ich denke, wenn ich irgendeine Grundsatzentscheidung strukturell stärker als mein 80Mio-stel beeinflussen kann, dann wieder nur, weil ich mir irgendeine nicht legitimierte Macht unter den Nagel gerissen habe. Und da ist natürlich auch Deine zweite Hälte furchtbar wahr, und eklig, aber theoretisch haben "wir" uns die ja extra dafür ausgesucht, demokratisch, sie würden das also in unser aller Auftrag machen. Wobei das wirklich so grandios überhaupt nicht funktioniert, daß ich jegliche Kritik sofort unterschreibe.
Aber was hält denn Menschen in einer voluntaristischen Gesellschaft davon ab, einen Mechanismus für die Schlichtung von Disputen einzurichten, und einen für die Durchsetzung von Forderungen?
Genau das interessiert mich eben, wie könnte der sich denn auch nur theoretisch von meinem (theoretisch-rosagepinselten) Staat unterscheiden? Indem man sich ihm nicht unterwerfen MUSS? Dh alle finden einen Mechanismus gegen Ladendiebstahl gut, außer Karlheinz, weil der ist von Beruf Ladendieb, aber der muß sich dann ja nicht unterwerfen? Ist das so ein bißchen wie mit dem IStGH und den USA? (Ich mein das viel weniger provokativ als es klingt)
3. Wen verklagst du, wenn unser Staat dir den Anspruch verweigert? Ich meine jetzt den Staat als Ganzes. Wenn du vor dem BVerfG standest und die Richter dir gesagt haben: Vergiss es, madove. Wen verklagen die Leute, die wegen Inzest oder Drogenbesitz inhaftiert sind?
Dann kann ich s noch bei EGMR probieren, aber das ist ja auch wieder "nur" so eine Einrichtung.

Und wenn der auch nicht will, dann muss ich die Wahrnehmung der Gesellschaft verändern und versuchen, einen Meinungswandel durchzusetzen, daß Frauen auch Menschen sind, oder Homosexuelle nicht verbrannt gehören, oder es eben einen Rechtanspruch auf ein minimales menschenwürdiges Auskommen geben sollte. Oder eben daß Inzest zwischen zwei ...[waahwieheißtdennconsentaufdeutsch?] Erwachsenen ausschließlich deren Privatangelegenheit ist, genau wie ihr Drogenkonsum. Wo kann ich unterschreiben?

Das Problem hätte ich aber auch ohne Staat, wenn die Gesellschaft das nicht so sieht. Nur daß man mich dann eben auch mal kurz irgendwo aufknüpfen könnte, auch wenn die Mehrheit der Leute über das Stadium mit dem Aufknüpfen inzwischen raus ist und die Todesstrafe vielleicht schon abgeschafft hätte.

Wie gesagt: Ich teile ALLE Deine Kritikpunkte und könnte einmal meinen linksradikalen Ärmel schütteln und noch viel mehr finden. Aber ich komm immer wieder drauf zurück:
- Ich denke, "keine Regeln" benachteiligt die Schwachen und "die Guten".
- Also Regeln. Und dann bitte nicht von Gott, einem beliebigen König, einem selbsternannten "guten Diktator" oder der Mafia (Ehrlich gesagt, stell ich mir Abwesenheit des Staates immer vor wie Sizilien.), sondern halt in irgendeinem sinnvollen Prozeß von allen, die sie betreffen, entschieden. (...ich sehe das problem hier.)
- Damit das mit den Regeln irgendeinen Effekt hat, muß sie jemand durchsetzen und Mittel dazu haben. Also dann doch am liebsten jemand, auf den wir uns auch (zumindest theoretisch) geeinigt haben und den wir (th.) kontrollieren können. Ich empfinde eigentlich sowohl meinen Finanzbeamten als auch Frau Merkel als zu einem 80 Mio-stel meine Angestellten.

Aus dem Eindruck heraus, daß wir weder in der Analyse des Status quo noch in der Wunschvorstellung so schrecklich weit auseinanderliegen (auch wenn ich denke, wir haben schon irgendwo einen grundsätzlichen Unterschied im Freiheitsbegriff) frag ich mich halt, was das dann heute bedeutet, also was wir anstreben/fordern.

Meine Sicht bringt mich dazu, den Staat als ein lächerliches Zerrbild dessen zu sehen, was er sein könnte, und ständig an ihm rumschrauben zu wollen, damit er besser wird.
Deins wäre dann eher Deregulierung an allen Stellen, wo er Mist baut, oder? Und da seh ich dann halt einfach Schritt für Schritt den Verlust der mühsam erkämpften gesellschaftlichen Fortschritte und ein Abgleiten in Anarchie. Aber ja keine jungfräuliche, wo wir alle uns bei Null zusammensetzen und mal sehen, wie wir das so machen wollen, sondern eine, in der bestehende Macht- und Wirtschaftstrukturen dann eben völlig ohne diesen Hauch von demokratischer Kontrolle, den wir jetzt haben, weiterwirken. Und wie man von da zu einer Utopie kommt, ist mir halt schleierhaft.

Oder war das jetzt ein Strohmann?
Muriel (Gast) - 3. Nov, 14:30

Genau das interessiert mich eben, wie könnte der sich denn auch nur theoretisch von meinem (theoretisch-rosagepinselten) Staat unterscheiden? Indem man sich ihm nicht unterwerfen MUSS? Dh alle finden einen Mechanismus gegen Ladendiebstahl gut, außer Karlheinz, weil der ist von Beruf Ladendieb, aber der muß sich dann ja nicht unterwerfen? Ist das so ein bißchen wie mit dem IStGH und den USA? (Ich mein das viel weniger provokativ als es klingt)
Ja, so ungefähr.
Wobei ich natürlich jedem Menschen das Recht zugestehe, sich und sein Eigentum (dessen genaue Bedeutung natürlich zu klären wäre, wie in jeder gesellschaft) zu schützen. Niemand muss mir erlauben, mich zu verteidigen, wenn er mich angreift.
Schutzmechanismen für so direkte Eingriffe halte ich auch ohne Zustimmung derer, vor denen man sich schützt, für völlig unproblematisch. Wie weit die dann gehen dürfen, ist eine andere Frage. Ich als Eigentümer eines Ladens sähe mich zum Beispiel nicht legitimiert, jemanden ein paar Jahre lang einzusperren, weil er bei mir geklaut hat.
Das Problem hätte ich aber auch ohne Staat, wenn die Gesellschaft das nicht so sieht. Nur daß man mich dann eben auch mal kurz irgendwo aufknüpfen könnte, auch wenn die Mehrheit der Leute über das Stadium mit dem Aufknüpfen inzwischen raus ist und die Todesstrafe vielleicht schon abgeschafft hätte.
Wie jeder Staat ist auch jede andere Gesellschaftsform auf Akzeptanz durch ihre Mitglieder angewiesen.
Wenn ein ausreichend hoher Anteil der Mitglieder den voluntaristischen Prinzipien nicht zustimmt, wird eine voluntaristische Gesellschaft nicht funktionieren, so wie auch eine demokratische, eine Kommunistische, oder jede andere.
- Ich denke, "keine Regeln" benachteiligt die Schwachen und "die Guten".
Ich denke, "keine Regeln" benachteiligt alle ganz enorm und ist deshalb eine sensationell dumme Idee, die meines Wissens auch niemand vertritt, der halbwegs bei Verstand ist.
- Also Regeln. Und dann bitte nicht von Gott, einem beliebigen König, einem selbsternannten "guten Diktator" oder der Mafia (Ehrlich gesagt, stell ich mir Abwesenheit des Staates immer vor wie Sizilien.), sondern halt in irgendeinem sinnvollen Prozeß von allen, die sie betreffen, entschieden. (...ich sehe das problem hier.)
Da ist ein Problem. Mein grundsätzliches kommt aber erst im nächsten Schritt: Ich gestehe niemandem das Recht zu, Regeln für andere Menschen festzulegen, ohne dass die dem zustimmen.
Ich würde, wenn ich mit anderen Menschen eine Gesellschaft gründen wollte, wahrscheinlich viele Regeln genauso festlegen, wie sie auch heute zum Beispiel in Deutschland liegen.
Wenn aber eine andere Gruppe sich entscheiden würde, dass sie lieber andere Regeln will, dann würde ich nicht gewaltsam gegen sie vorgehen. Das ist eigentlich (sagte ich ja schon) das einzige echte Problem, dass ich mit dem Konzept Staat habe.
auch wenn ich denke, wir haben schon irgendwo einen grundsätzlichen Unterschied im Freiheitsbegriff
Auf die Gefahr hin, kleinlich zu sein, glaube ich das eher nicht. Oder zumindest nicht nur.
Ich habe bisher den Eindruck, dass du eigentlich auch total gerne eine voluntaristische Gesellschaft hättest, aber der Meinung bist, dass nicht genug Menschen so vernünftig damit umgehen würden, dass sie funktionieren könnte.
Da stimme ich dir zu. Heute brauchen wir (scheint mir) noch einen Staat. Nicht weil der an und für sich eine gute Sache wäre, sondern so wie manche Teile großer Städte früher mal einen mächtigen Gangsterboss gebraucht haben (und mancherorts vielleicht immer noch brauchen). Einfach, weil dann jemand da ist, der die weniger mächtigen Gangsterbosse davon abhält, die Leute auszurauben und mit ihren Gangkriegen alles in Schutt und Asche zu legen, indem er alle davor schützt, von jemand anderem ausgeraubt zu werden als von ihm selbst, und indem er jedem die Beine bricht, der den Frieden in seinem Viertel stört.
Ich kann der Meinung sein, dass dieser Gangsterboss Unrecht tut, und trotzdem wollen, dass er an der Macht bleibt, weil ich weiß, dass die Macht sonst von noch schlimmeren Leuten ausgeübt wird.
So geht es mir mit unserem Staat, und ich habe eigentlich den Eindruck, dass es dir gar nicht so viel anders geht. Andererseits scheinst du der Meinung zu sein, dass die Herrschaft dieses Staates legitim wäre, weshalb wir da vielleicht doch weiter auseinander sind, da bin ich mir nicht so sicher. Aber ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass wir beide als Idealbild gerne eine Gesellschaft hätten, die ganz ohne Gangsterbosse auskommt, nur mit dem Unterschied, dass du es der Menschheit anscheinend nicht zutraust, so vernünftig zusammen zu leben, wie es dafür erforderlich wäre.
Außerdem habe ich das Gefühl, dass du dich schwertust, die Möglichkeit anzuerkennen, dass auch in einer völlig voluntaristischen Gesellschaft Regeln gelten und Rechte geschützt werden.
Wenn ich mich da irre, bitte ich um Entschuldigung.
Deins wäre dann eher Deregulierung an allen Stellen, wo er Mist baut, oder?
Meins wäre seine Abschaffung. Wie gesagt nicht unbedingt jetzt und auf einen Schlag, weil ich auch sehe, dass das (noch?) nicht ginge.
Ob der Staat in einem bestimmten Bereich Mist baut oder nicht ist für mich zweitrangig, weil seine Position für mich schon ganz grundsätzlich illegitim ist. Siehe Gangsterboss.
Aber ja keine jungfräuliche, wo wir alle uns bei Null zusammensetzen und mal sehen, wie wir das so machen wollen, sondern eine, in der bestehende Macht- und Wirtschaftstrukturen dann eben völlig ohne diesen Hauch von demokratischer Kontrolle, den wir jetzt haben, weiterwirken.
Warum denn?
Warum nicht das erste?
madove - 3. Nov, 18:12

Irgendwie kocht es sich auf drei Punkte zusammen:

a) Unser Idealbild ist echt sehr ähnlich.

b)
Außerdem habe ich das Gefühl, dass du dich schwertust, die Möglichkeit anzuerkennen, dass auch in einer völlig voluntaristischen Gesellschaft Regeln gelten und Rechte geschützt werden.
Ich kann es im Moment nicht "anerkennen", weil ich mir einfach nicht vorstellen kann, wie es gehen soll. (Wahrscheinlich sollte ich einfach mal "voluntaristisch "googlen, vielleicht macht das ja jemand konkreter als Du. Und überzeugender als Ayn Rand *aua* oder ist das wieder was anderes?)
Keine übergeordnete Autorität mit Gewaltmonopol, keine Be-Regelt-Werden ohne eigene Zustimmung (-> effektiv Konsensprinzip?).
Ich habe "Gesellschaften" erlebt, die sowas ausprobieren und bis zu einem gewissen Grad sogar hinkriegen (think: Landkommunenhippies), aber die zeichnen sich durch drei Eigenschaften aus: 1) Sie und Ihre Mitglieder wählen einander sorgfältig aus 2) ich kenne kein Modell größer als ein paar hundert Leute und so wie ich es kenne, skaliert es nicht 3) Es ist erstaunlich, wie unangenehm und eklig das werden kann, obwohl alle EXTREM wohlwollend sind, nur halt ganz normal neurotisch. Und da hat man dann noch keine wirklich destruktiven Egoisten dabei.
Aber ich bin die erste, die jedes Mal feuchte Äuglein kriegt, wenn man von solchen Ideen spricht, Wahrscheinlich würd ich Dir sogar auf eine Insel folgen, auf der du versuchst, Deins umzusetzen.

c) Aber, und das ist mein größtes praktisches Problem: Wir haben halt keine Insel.
Und während ich extrem Spaß daran hab, mich hier mit Dir über Utopien zu unterhalten und das zumindest für mich durchaus auch erhellend ist, führt die Kurzform "weniger Staat" oder "kein Staat" oder "Steuern sind Diebstahl" in der jetzt gegebenen Situation meines Erachtens definitiv zu der ZWEITEN Variante in meinem letzten Abschnitt.
Die ausgleichende/schützende/regelnde Funktion des Staates anzugreifen OHNE zB die im Moment vorhandenen wirtschaftlichen Privilegien explizit mit zu bekämpfen, würde zum exakten Gegenteil dessen führen, was ich für eine gute Gesellschaft halte.
Echt jetzt.
In der Hinsicht ist der Vergleich mit dem Gangsterboss gar nicht so schlecht, auch wenn ich doch nochmal auf der demokratischen Legitimierung rumreiten will, die zwar zugegeben nach wie vor eine fragwürdige ist, aber eben ein grandioser Fortschritt gegenüber allen anderen Formen von Herrschaft jemals, afaik.
Muriel (Gast) - 6. Nov, 19:14

Du wärst auf meiner Insel jederzeit willkommen. Ähm. Kam das jetzt komisch rüber? Hoffentlich nicht. Ich bin, was taktlose Implikation angeht, einerseits manchmal paranoid, andererseits manchmal viel zu unbedacht. Und mache ich jetzt alles nur noch schlimme, indem ich so drauf rumreite?
Schnell weiter:
Mich würde ja interessieren, unter welchen Umständen du generell gewaltsamen Zwang für gerechtfertigt hältst. Kannst du das so beantworten? Falls ich schon mal gefragt habe, bitte ich um Entschuldigung. Ich erinnere mich gerade nicht.
Und dann stimme ich dir im Ergebnis zu. Persönlich denke ich zwar, dass der Rechtsstaat eigentlich die viel größere Errungenschaft ist als die Demokratie, aber das ist wirklich schwer abzuschätzen, und ich denke jedenfalls auch, dass letztere ein großer Fortschritt gegenüber dem Kram vorher war, aber eben hoffentlich nicht der letzte.
Übrigens: Das neue Bright Outlook ist da. Ich sag nur.
madove - 8. Nov, 09:56

(Der erste Satz war prima. Die folgenden fünf könnten vielleicht einen Hauch awkward wirken ;-))

Zu Deiner Frage: Nein, kann ich so wirklich nicht. Ich kann beantworten, daß ich ihn offensichtlich unter Umständen für gerechtfertigt halte (sonst hätte ich mich irgendwie in der Diskussion vertan), und ich kann wahrhscheinlich in einer Liste von gegebenen Situationen einige klar mit Ja und viele klar mit Nein beantworten, und ganz, ganz viele mit ratlosem Blick, während ich versuche, schmerzhaft irgendwelche Rechtsgüter abzuwägen. Und/oder meine moralischen Vorstellungen. Und so ähnlich muß das meine Gesellschaft dann halt auch machen. Ich glaub nicht, daß es besser geht. Ich würde zumindest jemandem, der darauf eine einfache und befriedigende Antwort zu haben scheint, kein Wort glauben.

Ansonsten: hervorragendes Schlußwort.

(Bright Outlook: Oh, danke, der Service is ausgezeichet!)
Muriel (Gast) - 8. Nov, 10:51

(Der erste Satz war prima. Die folgenden fünf könnten vielleicht einen Hauch awkward wirken ;-))
Verdammt. Hab ich's doch geahnt.

Da ich schon mal dabei bin, nur so aus Neugier: Hast du Fremde in einem fremden Land bewusst ausgelassen (was natürlich völlig okay wäre) oder vielleicht einfach übersehen (was ja möglich ist, weshalb ich dachte, ich frag einfach mal)?

schafdeluxe - 18. Dez, 01:41

bist du okay,


liebe madove?


ich mach mir gedanken! :)

lamblearns

madove - 19. Dez, 22:11

Alles soweit in Ordnung, nur ein bißchen blogger's block grade. Das hier ist eigentlich so meine halbwegs vernünftig-nachdenkliche Ecke, und im Moment ist mir grade nicht so vernünftig-nachdenklich zumute. Ich hoffe, da kommt irgendwann wieder was.
Aber vielen Dank der Nachfrage, und für die Gedanken...! :)

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madove - 27. Jun, 16:07
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rebekka (Gast) - 2. Sep, 20:43
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David (Gast) - 27. Mai, 17:24
yeeeeey
ich bin gerade so strahlefroh!! geil, dass das ein...
tonja (Gast) - 8. Mär, 15:46
Das ist ja schon witzig......
Das ist ja schon witzig... Du hast wirklich sehr sehr...
madove - 19. Jan, 22:00

Über mich

"Ma dove?" ist italienisch und heißt "Aber wo?".
Der "Name" ist eigentlich zufällig an mir hängenge-blieben, paßt aber bestechend:
Ich suche.
Den Sinn des Lebens, meinen Platz in der Welt, meinen eigenen Stil, und eigentlich ständig meinen Schlüsselbund. Bislang mit mäßigem Erfolg, aber unverdrossen.
Um herauszufinden, was ich denke, lese ich gerne hier nach. Dafür muß ich es aber erst schreiben.
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