Mitte März - oder: Lerne zu denken, bevor du redest

Ich hab zwei Tage Abstand gebraucht, aber jetzt kann ich das aufschreiben, ohne ununterbrochen mit dem Kopf gegen die Wand schlagen zu wollen.
Ein Schwank aus meinem Leben, vorgestern:

Ich ärgere mich öfter drüber, daß ich lieber selber einen großen Aufwand in Kauf nehme oder auch lüge oder mich sonstwie verbiege, um irgendwelchen Leuten (oft: Kunden) die Erkenntnis zu ersparen, daß sie sich irren oder absurden Vorstellungen hingegeben haben. Aber diesmal hab ich dem Ganzen irgendwie die Krone aufgesetzt.

Im Moment bin ich ja im Urlaub, also keine Kunden, dafür war ich selber ausgiebig Einkaufen für eine Pastete nach einem Rezept meiner Großmutter, das ich ausprobieren will.
Einer der Fachverkäufer im Supermarkt unseres Vertrauens hat irgendwie besonders engagiert mit mir Konversation gemacht, offensichtlich sehr fröhlich und freundlich, aber ohne, daß ich anfangs viel verstanden habe, weil ich in Gedanken bei der Pastete war und er ziemlich badisch sprach. Weil er aber offensichtlich nett sein wollte, hab ich gelächelt und genickt, und irgendwas Zustimmendes gemurmelt. Irgendwann beim dritten oder vierten Satz wurde mir klar, daß wir uns weder übers Wetter, noch über mein Kochprojekt (mit dessen Rezept ich rumgewedelt habe), sondern offensichtlich über meine Schwangerschaft unterhalten.
WTF?

Na gut, das kann passieren; ich bin (wie schon mehrfach erwähnt) nicht schlank und hatte den kompletten Inhalt einer Damenhandtasche stolz in den Bauchtaschen meines dicken Pullovers. Ich habe mit dieser Assoziation eigentlich kein großes Problem. Und hätte also einfach fröhlich lachen und das Mißverständnis aufklären können.
Aber was macht mein krankes Unterbewußtsein?
Es stellte sich spontan vor, wie dramatisch es für diesen jungen, gestylten, also offensichtlich mainstream-Schönheits- und Service-Idealen anhängenden Fachverkäufer sein muß, eine Kundin für "so fett daß schwanger" gehalten und ihr das ins Gesicht gesagt zu haben, daß mir offensichtlich spontan nichts besseres einfiel, als ihn vor dieser Schmach zu bewahren, indem ich auf seine Frage, wann es denn soweit sei, Februar? nichts zu antworten wußte als "Nein, etwas später..." - wohl um unterbewußt irgendwie Zeit zu gewinnen. Dann fiel mir aber auch noch ein, daß man das als werdende Mutter ja unglaublich aufregend finden und allen Leuten damit auf die Nerven gehen muß und ich fügte konkretisierend und strahlend hinzu: "Mitte März."
Das alles in Sekundenbruchteilen.

Während mein Verstand dann inzwischen auch schon angekommen war und schreiend an seinen Gitterstäben rüttelte, hat mir der freundliche junge Mann alles Gute gewünscht und ich habe ihm gedankt und bin geflohen.
Und frage mich jetzt, wo ich die nächsten drei Jahre einkaufe. Das ist eine Kleinstadt.

Wie bescheuert kann man eigentlich sein?
Muriel (Gast) - 31. Dez, 11:14

Das mag dich jetzt aus mehreren Gründen überraschen, aber mir hätte sowas auch passieren können, ich fühle deshalb mit.
Zwar halten mich selten Leute für schwanger, und ich bin auch nicht unnötig freundlich, aber dafür bin ich faul und nehme meine Gesprächspartner oft nicht so richtig für voll. Deswegen passiert es mir durchaus auch, dass ich jemandem nicht richtig zuhöre - insbesondere, wenn ich ihn wegen schlechter Verbindung, sonderbaren Dialekts oder ganz fremder Sprache nicht gut verstehe oder ihn einfach nicht leiden kann - und erst zu spät merke, dass wir gerade über was reden, was gar nicht stimmt.
Insbesondere passiert das in Fällen, in denen jemand (wie ein Verkäufer oder ein Hotline-Mensch) für mich einfach nur ein Mittel ist, etwas Bestimmtes zu erreichen. Da ergibt es manchmal Sinn, nicht die ganze komplizierte Geschichte zu erzählen, die man eigentlich zu erzählen hätte, sondern eine kompaktere, die zum gleichen Ergebnis führt. Oder führen sollte.
Ich scheue in dem Moment dann auch den Aufwand, alles aufzuklären.

madove - 31. Dez, 11:30

Das verstehe ich, rational, und es tröstet mich irgendwie, weil man ja dann vielleicht von außen meinen könnte, das sei bei mir auch so (ich habe zB von meinen Klassenkameraden irgendwann das Feedback bekommen, ich hätte arrogant, souverän überlegen und desinteressiert gewirkt, während ich die ganze Unter- und Mittelstufe durch nur mit aller Kraft versucht habe, ihre komischen unverständlichen Rituale nachzumachen, um irgendwie dazuzugehören).
Wahr ist leider immer noch, daß ich meine, ich müßte es allen recht machen, weil sie sonst traurig und böse auf mich sind (was daran so schlimm wäre, weiß ich aber auch nicht).
Dietmar (Gast) - 31. Dez, 11:17

Dazu fällt mir nur Eines ein:

Ein unverschämter Typ. Kauf doch da jetzt immer ein: Wäre bestimmt lustig, wie er guckt, wenn er irgendwann mal realisiert, was er da von sich gegeben hat.

madove - 31. Dez, 11:31

Nein, er war gar nicht unverschämt, er war ganz freundlich und liebevoll-besorgt und hat irgendwas von seiner Schwester erzählt, die auch schwanger ist, was er aufregend und wunderbar fand. Er hat sich einfach nur in der Zielgruppe vertan, fürchte ich.
Dietmar (Gast) - 31. Dez, 11:36

Der "unverschämte Typ" war ein verunglückter Humorversuch von mir ;-)
madove - 31. Dez, 11:37

Ohhhh... voll verpeilt ;-)
Dietmar (Gast) - 31. Dez, 11:40

Mein Fehler, mein Fehler!

(Mal sehen wer in der gegenseitigen Rücksichtnahme als erstes einknickt *hihi*)
madove - 31. Dez, 11:43

Ich ... muß... stark...sein...ich...kann..es..schaffen..:
Genau, Du Idiot, Dein Humor war ja völlig unverständlich!
Oh sorry sorry sorry!!!! Mein Fehler!

So etwa würde das bei mir aussehen ;-)
Yaspiz (Gast) - 31. Dez, 11:21

Liebe Madove,
Du schreibst einfach zu lustig und ich kann nicht anders als lachen, wenn ich den von Dir so geschilderten Verstand vor mir sehe. Überhaupt diese ganze Situation!
Vielleicht kannst Du Dich ja herauswinden, indem Du beschließt, dass Ihr über eine Nachbarin gesprochen habt. Wenn er Dich also wieder anspricht, falle ihm ins Wort und sage, dass es der Nachbarin gut geht und Ihr Euch alle schon freut auf deren Baby, das Mitte März kommt.
Ansonsten sag es, wie es ist. Sonst lernt er es ja nie.
Ich wünsche Dir, dass Du gut in 2012 kommst und ganz viel Glück und alles, was Du Dir wünschst.
Liebe Grüße
Yaspiz

madove - 31. Dez, 11:34

Ja, das war auch mein erster Gedanke, den Eindruck zu erwecken, das Mißverständinis hätte "nur" darin bestanden, daß ich dachte, wir sprechen über jemand drittes. Oder mir immer größere Kissen unter den Pullover zu stecken und mir demnächst kleine Kinder von meinen Bekannten auszuleihen, wenn ich einkaufen will.
Aber ich will ja gar nicht heucheln oder lügen, nicht mal, um es gradezubiegen. Aber in diesem Fall hab ich mich wirkich in eine blöde Ecke manövriert. Mal sehen, was ich mache.

Vielen Dank für Deine guten Wünsche, die ich gern zurückgebe!!
Dietmar (Gast) - 31. Dez, 11:34

Gerade der Familie vorgelesen, die sich prächtig amüsiert. Danke und einen schönen Jahreswechsel!

madove - 31. Dez, 11:40

Na, dann wars ja wenigstens zu irgendwas gut ;-)
Und danke und Euch auch...!
G u i n a n (Gast) - 31. Dez, 16:29

Da ist der Gute jetzt aber um einen wichtigen Lernerfolg gekommen. Den solltest du ihm vielleicht doch noch ermöglichen.
In zwei Wochen gehst du wieder hin, diesmal ohne den Tascheninhalt, guckst ihn mit großen traurigen Augen an und murmelst: Ach, fragen Sie bitte nicht...
Wenn du dann noch die Hände vor's Gesicht schlägst und anfängst, haltlos zu schluchzen, spricht er nie wieder fremde Frauen auf irgendwelche Umstände an.

madove - 31. Dez, 17:23

Im Ernst hatte ich auch darüber nachdedacht. Also das nächste Mal möglichst schlankmachend angezogen und verheult geschminkt hinzugehen und zu hoffen, daß er sich nicht traut zu fragen. Aber wenn er doch fragt? Dann erzähl ich vielleicht noch größeren Müll?! hilfe.
wr (Gast) - 31. Dez, 16:37

Ach mein Dicker, das geschieht dir so recht... ;-*

madove - 31. Dez, 17:17

:-P
Ich fürchte auch. f*ck.
Samuel B. - 31. Dez, 16:49

ok, ich geb zu, ich hab auch gelacht! aber das "mitte märz" ist einfach nur zu gut. ich komme zwar gerade vom dienst und eigentlich müsste ich gerade noch geübt sein - aber mir fällt beim besten will einfach nichts ein, wie damit umzugehen. ich glaube, ich würde es auf einen nächsten einkauf ankommen lassen, wie er dann reagiert. wünsch dir was!

madove - 31. Dez, 17:22

Ja, ich denke, darauf wirds rauslaufen, nachdem mein Mann sich weigert, die nächsten 20 Einkäufe allein zu machen, damit ich meine Neurosen weiterpflegen kann ;-)
Vermutlich werde ich einfach geduckt hinter irgendwelchen Regalen rumkriechen, in der Hoffnung, daß ich es schaffe, seine Kollegin zu erwischen.
Ich habe vor allem Angst davor, daß doch irgendein Gespräch entsteht, in dem es wieder aus mir spricht und ich dann hinterher Drillinge bekommen muß oder so.
Yaspiz (Gast) - 31. Dez, 18:36

Übrigens habe ich auch in jungen Jahren mal die Schwester meines damaligen Freundes gefragt, wann denn ihr Baby käme. Das war längst da und sie hatte es für ihre Geburtstagsparty bei ihrer Mutter geparkt. Fauxpas. Aber sie konnte mich eh nicht leiden, von daher änderte das nichts zwischen uns.
Bis heute habe ich nicht vergessen, mit welchem Gesichtsausdruck und in welcher Stimmlage sie mich darauf 'hinwies'.
Ich hatte sie ziemlich verletzt, ohne es zu wollen. 'Lerne zu denken, bevor Du redest' lässt sich also durchaus auch auf Dein Gegenüber anwenden, genauso wie auf das Gegenüber der Schwester meines damaligen Freundes, nämlich mich. Ist mir auch nie wieder passiert.

madove - 1. Jan, 09:38

Ja, das ist auch peinlich.......

Wahrscheinlich ist das mit dem Denken sowieso keine schlechte idee, stimmt schon ;-)
prisca (Gast) - 31. Dez, 19:41

Eine echt saublöde Situation *kicher*!
Bestell doch einfach eine richtig gute Lösung beim Universum. Welche denen einfällt, wirst du dann ja sehen... :-)

Rodraeg (Gast) - 31. Dez, 22:46

Ganz schnell schwanger werden!

PS: Liebe Grüße und alles Gute für 2012!
madove - 1. Jan, 09:37

Äh, danke, nein. ich will doch meinen aktiven Beitrag zum Aussterben der Spezies leisten! ;-)
Und. Vielen Dank, Dir auch. Bist Du in B.?
Rodraeg (Gast) - 1. Jan, 13:08

Ja, noch ein paar Tage.
Dietmar (Gast) - 1. Jan, 17:17

"Äh, danke, nein. ich will doch meinen aktiven Beitrag zum Aussterben der Spezies leisten!"

Und wieder beschleicht mich dieses Gefühl, das machen zu oft die Falschen.

(Mal checken, ob man das missverstehen kann ... hm ... hoffe, nicht ...)
madove - 2. Jan, 09:34

Das wird mit öfter entgegen-/vor- oder sonstwohin gehalten...
Es stimmt vermutlich einfach.
Aber ob die Welt wirklich noch einen ressourcenverschlingenden Mitteleuropäer braucht, der zu neurotisch ist, um wirklich was zu unternehmen, um sie zu verbessern und dessen Mutter die ganze Zeit schreiend gegen die Wand rennt wegen der Ungerechtigkeit und der Umweltzerstörung, da bin ich mir nicht so sicher... ;-)
[Ich verstehe es jetzt in dem Kontext als sachlich richtige Aussage und vielleicht vorsichtig ein bißchen als Kompliment.]
[[Eigentlich sollte man viel öfter dazusagen, was man grade verstanden hat. Ich stelle mir das sehr erhellend vor in vielen Gesprächen.]]
DasSan (Gast) - 3. Jan, 20:53

Also meine Strategie in diesem Fall wäre einfach so zu tun als hätte der junge Mann alles falsch verstanden und alles komplett von mir zu weisen und zu ignorieren, falls jemand nachfragt.
Ignorieren unangenehmer Umstände ist meine Spezialdisziplin.
Aber mit deinem Unterbewusstsein solltest du vielleicht trotzdem nochmal reden, zuviel Nettigkeit is' auch nicht gesund ;-)

madove - 4. Jan, 10:48

Ja. Ich versuche auch gie ganze Zeit, mir vorzustellen, ich hätte es immer noch nicht kapiert, auf irgendwas völlig anderes geantwortet, und mir wäre das Problem überhaupt nicht klar. Dann könnte ich mich ja ganz normal ihm gegenüber verhalten und aus allen Wolken fallen, wenn er drauf anspielt... Mal gucken, ob ich das hinkriege.
Anita (Gast) - 15. Mai, 14:57

Vorgetäuschte Schwangerschaft

Wieso hast du damit ein Problem, dass er so neugierig war. Hätte ich an deiner Stelle evtl. auch gemacht bzw. in ähnlichen Situtationen schon gemacht.

VG

Anita

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Über mich

"Ma dove?" ist italienisch und heißt "Aber wo?".
Der "Name" ist eigentlich zufällig an mir hängenge-blieben, paßt aber bestechend:
Ich suche.
Den Sinn des Lebens, meinen Platz in der Welt, meinen eigenen Stil, und eigentlich ständig meinen Schlüsselbund. Bislang mit mäßigem Erfolg, aber unverdrossen.
Um herauszufinden, was ich denke, lese ich gerne hier nach. Dafür muß ich es aber erst schreiben.
Daher das blog.


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