Nachdenklichkeit angesichts zu beantwortender Neujahrskarten

Als jemand, der aus der Teenagerzeit mit einer großen Fülle an Brieffreunden hervorgegangen ist (weil ich in meiner eigenen Stadt (fast) niemanden gefunden habe, mit dem ich hätte sinnvoll reden können und wollen, auf irgendwelchen aushäusigen Seminaren oder politischen Veranstaltungen aber sehr wohl), stelle ich zunehmend einen neuen Vorteil des Kinderhabens fest, der auf meiner persönlichen Pro- und Contra-Liste bisher gefehlt hat:

Man hat in Briefen was zu erzählen.

Mein Leben ist seit ein paar Jahren in einer Phase, in der sich äußerlich nicht viel ändert. Gleicher Mann, gleiche Wohnung, gleiche Arbeit. Früher konnte man eigentlich immer über Trennungen und neue Männer, irgendwelche anstehenden oder gerade zurückliegenden Prüfungen, über Umzüge oder Auslandsaufenthalte schreiben, alle Vierteljahr war irgendwas.

Unabhängig von Briefpartnern und ihren Kindern ist das jetzt glaubich generell ein Zustand, den ich etwas schwierig finde. Ich habs nicht so mit Sicherheit und Ruhe, ich mag lieber Veränderungen alles Art. Das Neue, das Kennenlernen, das mich-erstmalig-Zurechtfinden.
Das dadurch legitimierte Chaos.

Natürlich passieren Dinge: ich konsumiere unterschiedliche Arten von Kultur, ich denke viel nach und gelegentlich auch was Neues, meine Beziehung entwickelt sich auf und ab und natürlich auch weiter, und ich könnte die Weltlage kommentieren.
Aber vieles davon kann und mag ich nicht in Worte fassen, zu schwer, zu komplex, zu unsicher, und manchmal beneide (und manchmal verachte) ich meine Freunde heimlich, wenn sie einen ganz Brief füllen können mit den neuesten Errungenschaften ihrer Zwerge. Welcher kommt in die Schule, welcher kann laufen, wie läuft die Schwangerschaft.
Und dann vielleicht, wenn ich Glück habe, noch ein paar nachdenkliche Sätze darüber, daß sie irgendwie gar nicht mehr zu sich kommen vor lauter Arbeit und Kindern.

Wahrscheinlich ist es eigentlich doch nur eine konkrete Ausprägung der Punkte auf meiner Liste: Pro - gefühlte Antwort auf die Sinnfrage; Contra - Stimmt ja gar nicht, ist nur weitergereicht, wie bei einem Schneeballsystem.
rebhuhn - 24. Jan, 08:17

hu. ja, ich brauche [auch?] dringend etwas neues und rede mich vor mir selber schon mit 'double bind' [wiki]als grundstimmung am arbeitsplatz raus... dieses jahr wird [hoffentlich!] bunt.

denkst du jetzt eher über die kinderfrage nach oder darüber, dein leben grundsätzlich mal aufzumischen?

madove - 24. Jan, 20:23

Im Moment keins von beidem.
Über Kinder denke ich immer wieder nach, weil sie überall in meinem Umfeld wie die Pilze aus dem... wie die Karnickel ... naja, so irgendwie halt.
Und ich dann auch oft gefragt werde.
Ich wollte noch nie explizit welche, und ich kanns mir immer weniger vorstellen, nur aus gelegentlich wechselnden Gründen.
Und der Rest? Ich mag meine Werkstatt und ich mag meinen Mann. Das schränkt in der Praxis großartige abenteuerliche Umschwünge schon ziemlich ein. Was ich aber durchaus als einen ziemlich hohen Preis für beides empfinde; ich bin eigentlich ein unstetes Fluchttier, und schon viel zu lang an einem Ort. Aber bis jetzt ist es mir diesen Preis wert.
G u i n a n (Gast) - 24. Jan, 09:22

Mit Kindern hat man zwar regelmäßig viel zu erzählen, das hilft aber nicht wirklich. Es interessiert nämlich, außer vielleicht die Omas, niemanden ernsthaft. Die meisten Freunde sind nur zu nett, einem das so direkt ins Gesicht zu sagen.

madove - 24. Jan, 20:24

Das kann ich dann auch wieder bestätigen ;-)
Wobei das wahrscheinlich sowieso für erstaunlich viele Themen gilt, die einen selber gerade umtreiben.
Claudia (Gast) - 24. Jan, 21:18

Ma dove? Adesso, qui!

Das hört sich fast so an, als bereite sich untergründig doch eine Veränderung vor - du spürst es voraus, weißt aber noch nicht, was es sein könnte.

Hast du denn gar keine Wünsche und Träume, was du erleben, tun, vollbringen, erfahren willst?

madove - 24. Jan, 21:30

Si, però...

Nicht so konkret.
Und sie sind alle eindeutig nicht Mann- und nicht Werkstattkompatibel.
Die Konkretesten drehen sich eigentlich fast alle darum, unterschiedlich radikal meine Besitztümer zu reduzieren (irgendwo zwischen "Paßt in einen Bauwagen" und "Paßt in einen Rucksack") und in irgendeinem Wald/Wüste/Großstadt ein Nomaden- oder Eremitendasein zu führen (mit Internet, versteht sich ;-) ).

Und das würde ich mich wahrscheinlich nicht mal ohne die oben genannten Hindernisse wirklich trauen. Und in einem normalen Rahmen kommt mein jetziges Leben meinen Wunschvorstellungen verdammt nah, nur daß eben das Nomadische, Ungebundene mir ziemlich fehlt.

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"Ma dove?" ist italienisch und heißt "Aber wo?".
Der "Name" ist eigentlich zufällig an mir hängenge-blieben, paßt aber bestechend:
Ich suche.
Den Sinn des Lebens, meinen Platz in der Welt, meinen eigenen Stil, und eigentlich ständig meinen Schlüsselbund. Bislang mit mäßigem Erfolg, aber unverdrossen.
Um herauszufinden, was ich denke, lese ich gerne hier nach. Dafür muß ich es aber erst schreiben.
Daher das blog.


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