Cola
Nach allem, was ich darüber gehört habe, scheint Richard David Prechts Buch "Lenin kam nur bis Lüdenscheid" ziemlich genau meine Kindheit zum Thema zu haben.
Ich habe es noch nicht gelesen, es steht auf dem Geburtstagswunschzettel. Auch seine anderen Bücher scheinen nett zu sein, und insgesamt wirkt er eloquent und unterhaltsam, also bin ich meiner Neugier gefolgt, habe nach Precht und podcast gegoogelt und mir 5-6 Stunden verschiedene Interviews mit ihm in die Werkstatt mitgenommen.
Sie sind sehr verschieden, teils von Kultur- und teils von Popsendern, aber keiner der Gesprächspartner läßt sich an irgendeiner Stelle die Frage entgehen: "Aber war das denn nicht traumatisch, so eine Kindheit? Ich meine, Sie durften keine Cola trinken!?"
Das macht mich wirklich etwas ratlos.
Ich meine, es war nicht immer lustig, beim "Fernsehfangen" nicht mitspielen zu können, weil man keine Fernsehserie kennt, deren Namen man rufen könnte, um nicht gefangen zu werden. Oder in praktischen oder gesunden oder ökologisch hergestellten Klamotten statt in Jeans zur Schule zu gehen, während man den Eindruck gewinnt, das Leben hinge an Markenklamotten. Oder nicht Monopoly spielen zu sollen, weil das den Kapitalismus verherrlicht. Oder wahrscheinlich auch, keine Cola zu kriegen.
Aber ich würde den Damen und Herren gerne erzählen, was traumatisch ist.
Traumatisch ist es, nach einer Kindheit, die geprägt war von der Überzeugung, daß wir auf einem Weg sind, der (langsam und gegen den Widerstand der Noch-Herrschenden) zu einer Welt führt, in der ganz selbstverständlich alle wenigstens irgendwie etwas zu essen haben, in der man vermeidet, unsere Lebensgrundlage völlig plattzumachen, in der sowohl Atomwaffen als auch Kernkraftwerke Vergangenheit sind, in der Frauen ganz normale Menschen sind, in der alle Menschen Zugang zu Bildung haben und deshalb gemäß ihren Fähigkeiten ihren Beitrag zu Gesellschaft leisten können, und eben in der wir alle gegenseitig ein ganz klein bißchen aufeinander aufpassen (das hieß "Solidarität". Lange nicht mehr gehört, das Wort.),
*lufthol*
...wenn man also mit der Überzeugung aufgewachsen ist, daß das das Ziel ist; wie schwer erreichbar und fern auch immer, dann ist es traumatisch, festzustellen, daß die Mehrheit der Menschen um Dich rum das Gegenteil (Hunger, Atomkraftwerke, Massentierhaltung, Urwaldverbrauch, Vergewaltigungen, Milliardäre, SUVs...) für normal hält. Wirklich.
Ich sehe auch, daß das die Realität ist, Leute, aber es ist nicht normal. Was ist denn daran normal???
Das ist traumatisch.
Die Cola könnt Ihr Euch irgendwo hinkippen.
Ich habe es noch nicht gelesen, es steht auf dem Geburtstagswunschzettel. Auch seine anderen Bücher scheinen nett zu sein, und insgesamt wirkt er eloquent und unterhaltsam, also bin ich meiner Neugier gefolgt, habe nach Precht und podcast gegoogelt und mir 5-6 Stunden verschiedene Interviews mit ihm in die Werkstatt mitgenommen.
Sie sind sehr verschieden, teils von Kultur- und teils von Popsendern, aber keiner der Gesprächspartner läßt sich an irgendeiner Stelle die Frage entgehen: "Aber war das denn nicht traumatisch, so eine Kindheit? Ich meine, Sie durften keine Cola trinken!?"
Das macht mich wirklich etwas ratlos.
Ich meine, es war nicht immer lustig, beim "Fernsehfangen" nicht mitspielen zu können, weil man keine Fernsehserie kennt, deren Namen man rufen könnte, um nicht gefangen zu werden. Oder in praktischen oder gesunden oder ökologisch hergestellten Klamotten statt in Jeans zur Schule zu gehen, während man den Eindruck gewinnt, das Leben hinge an Markenklamotten. Oder nicht Monopoly spielen zu sollen, weil das den Kapitalismus verherrlicht. Oder wahrscheinlich auch, keine Cola zu kriegen.
Aber ich würde den Damen und Herren gerne erzählen, was traumatisch ist.
Traumatisch ist es, nach einer Kindheit, die geprägt war von der Überzeugung, daß wir auf einem Weg sind, der (langsam und gegen den Widerstand der Noch-Herrschenden) zu einer Welt führt, in der ganz selbstverständlich alle wenigstens irgendwie etwas zu essen haben, in der man vermeidet, unsere Lebensgrundlage völlig plattzumachen, in der sowohl Atomwaffen als auch Kernkraftwerke Vergangenheit sind, in der Frauen ganz normale Menschen sind, in der alle Menschen Zugang zu Bildung haben und deshalb gemäß ihren Fähigkeiten ihren Beitrag zu Gesellschaft leisten können, und eben in der wir alle gegenseitig ein ganz klein bißchen aufeinander aufpassen (das hieß "Solidarität". Lange nicht mehr gehört, das Wort.),
*lufthol*
...wenn man also mit der Überzeugung aufgewachsen ist, daß das das Ziel ist; wie schwer erreichbar und fern auch immer, dann ist es traumatisch, festzustellen, daß die Mehrheit der Menschen um Dich rum das Gegenteil (Hunger, Atomkraftwerke, Massentierhaltung, Urwaldverbrauch, Vergewaltigungen, Milliardäre, SUVs...) für normal hält. Wirklich.
Ich sehe auch, daß das die Realität ist, Leute, aber es ist nicht normal. Was ist denn daran normal???
Das ist traumatisch.
Die Cola könnt Ihr Euch irgendwo hinkippen.
madove - 18. Mär, 19:44
Aber ... also, ich glaube eigentlich schon, dass wir auf dem Weg sind.
Langsam.
Gegen den Widerstand keineswegs nur der Herrschenden, wer auch immer das sein mag.
Aber schon.
Ich weiß nicht. Manchmal denk ich das auch, und dann denke ich wieder ganz oft das Gegenteil (in der Zeit, als ich aufgewachsen bin, hat man Werbung für Lego gemacht mit Mädchen in Latzhosen. Und es hatten alle Leute Zähne (wirklich). Und es hing nachts nicht über jeder Mülltonne jemand mit einer Taschenlampe. Und Uni war wirklich kostenlos, und Schue auch.
Das war eine ziemlich kurze Zeitspanne, so global gesehen, und da waren wir auch das Schaufenster des Westens, ich weiß. Trotzdem.) Ich seh die Tendenz eher gegenläufig.
Stimme Dir aber zu, daß der Widerstand nicht nur von den Herrschenden kommt. Das ist wahrscheinlich der Punkt, der mich am ratlosesten macht.
Ich weiß nicht, ob du Zahlen über den Anteil der Leute mit Zähnen hast und bin selbst zu faul, sie rauszusuchen, aber ich weiß jedenfalls, dass Uni und Schule nie kostenlos waren.
Ich würde darüber hinaus auch in so ziemlich allen anderen Aspekten nachdrücklich bestreiten, dass damals irgendwas signifikant besser war.
Die Entwicklung ist langsam, und natürlich nicht streng stetig.
Aber ich halte sie schon für recht gut erkennbar.
Interessant, dass du eine genau entgegengesetzte ähnlich deutlich siehst.
Damit wäre womöglich die Gelegenheit gekommen, selbst zu tun, was wir uns immer von anderen wünschen, und konkret zu werden.
Woran wollen wir die Qualität der Gesellschaft festmachen, damit wir überprüfen können, ob sie in den letzten Jahrzehnten gestiegen oder gesunken ist?
Oder haben wir da gerade keine Lust drauf und machen lieber was Lustigeres?
Ich will niemandem was aufzwingen.