Ich. will. Sommer.
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Avere la coda di paglia, wörtlich "einen Schwanz aus Stroh haben", bedeutet soviel wie ein vorauseilendes schlechtes Gewissen.
So wie ein Schwanz aus Stroh ganz leicht anfängt zu brennen (das Bild stammt wohl aus einer Fabel mit einem "prothesentragenden" Fuchs), hat eine Person mit einer "coda di paglia" ein schlechtes Gewissen, das sich darin äußert, bei jeder Bemerkung, die vielleicht gar nichts mit ihr und der Sache zu tun hat, zu erschrecken und sich zu rechtfertigen.
Sehr nützlich im Alltag. Wird häufig von dem Mann auf mich angewendet (zu Recht. Ich hab das ständig.) und führt zu einem Lacher anstatt einem krampfigen hin- und hergehenden Abstreiten von gar nicht gemachten Beschuldigungen.
...aber jetzt, wo der Mann mich darauf aufmerksam macht, geb ich's zu:
Ich lese beim Häkeln.
Oder umgekehrt.
Ich habe eine umfangreiche Sammlung von Hörbüchern und Podcasts, die ich liebe und insbesondere für die Werkstatt nicht missen will, und ich mache beim Häkeln auch immer irgendsowas an. Aber relativ bald stelle ich das Audio aus irgendeinem Grund auf Pause, schaue kurz was am Rechner, zum Beispiel eine Häkelmusteridee oder meine mails, und lese mich dann in Blogs fest. Das Häkelzeug liegt vor mir, und während ich lese, wird meinen Händen langweilig, und so nimmt das Ganze seinen Lauf.
Sowohl das Häkeln als auch das Lesen leiden natürlich etwas, was Qualität und Geschwindigkeit angeht, aber da es mir ständig passiert, scheint es mir intuitiv doch lieber zu sein als der Hörkram.
Generell stelle ich fest, daß auch am Bildschirm lange Texte viel eher meine Aufmerksamkeit behalten als Videos und Audio. Vielleich noch Bilderstrecken, wenn sie gut gemacht sind und schnell laden.
Es hat etwas mit der Kontrolle über das Tempo zu tun - ich springe beim Lesen viel, sowohl vorwärts als auch rückwärts, lese mal schnell und oberflächlich, dann wieder Wort für Wort, und diese Möglichkeit bei gleichem Bedienkomfort bietet einfach kein anderes Medium. Auch beim Häkeln.
Das kommt gerade seltsam, in einer Phase, in der ich mich aus Gründen meiner persönlichen Entwicklung inhaltlich und persönlich immer wieder mit den Eltern auseinandersetze.
Mir auch erlaube, mich zu entfernen und andere Wege zu denken, und damit verbunden, eine Menge Sachen doof zu finden (oder auch nur: für mich falsch).
In der ich vielleicht erstmalig anerkenne, daß gut gemeint nicht immer gut war. Daß ich Dinge anders machen würde. Daß ich sie gelegentlich an die Wand nageln will. Daß ich ihnen einen Gutteil meines Psycho-Murkses (ist das der korrekte Genitiv?) verdanke.
Lauter Sachen halt, die man mit Mitte Dreißig dann mal machen muß, wenn man seine Pubertät irgendwie verpaßt bzw. mit guten Büchern und klassischer Musik verpennt hat...
Und die sich irgendwie auch nicht damit ausschließen, sie unheimlich lieb zu haben.
Trotzdem ist es gerade jetzt auch besonders schön und aufwühlend, ihn mal wieder aus einer anderen Perspektive gezeigt zu bekommen und wirklich verdammt stolz auf ihn zu sein.
Hut ab, falls Du das liest.
Heute war eine nette junge Radiojournalistin bei mir in der Werkstatt und hat mich zu meinem Handwerk befragt. Sie hat mich eine halbe Stunde lang plappern lassen und wird daraus einen Drei-Minuten-Beitrag machen.
Ich beneide sie nicht - meine Neigung zu Schachtelsätzen wurde durch die leichte Nervosität eher verstärkt, gefühlt. Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt einen Satz gesagt habe, der komplett in ihre Sendezeit paßt... Ansonsten fand ich es nicht so schlimm, wie ich erwartet hatte (ich bin wirklich schüchtern).
Ich bin sehr gespannt.
Und habe ein bißchen Angst. Das letzte Mal, daß ich zu meinem Beruf mit Journalisten gesprochen habe (anläßlich der Ausbildungsabschlußfeier der IHK, vor 13 Jahren), kam dabei eine Kurzmeldung aus zweieinhalb Sätzen heraus, die beide irgendwie sehr, sehr falsch waren.
Mal sehen, was sie draus macht.
- Geometrie ist doof. Wenn man was Großes Flaches Kreisförmiges häkelt, werden die Reihen ziemlich schnell wirklich ärgerlich lang (nämlich 2pi mal so schnell wie das Mistding gefühlt vorwärts geht, wer hätte das gedacht...). In Zukunft häkele ich wieder nur kleinteiliges Zeug, bei dem "noch schnell eine Reihe" eine sinnvolle Zeiteinheit bleibt.
Ganz zu schweigen von der Gemeinheit, daß mein eigener nicht zu vernachlässigender Umfang das Gesamtprojekt auch noch unnötig vergrößert. Und ich häkele zwar gern, aber ich bin eher eine Freundin des raschen Erfolgserlebnisses. Ich sollte abnehmen ;-).
- Nichts gegen dieses lustige kalte Wetter, aber in diesem klapprigen Fünfziger-Jahre-Bau frieren dann immer irgendwo Wasserleitungen ein. Na gut, spülen wir unser Geschirr eben in der Dusche.
- Der Mann und ich sind jetzt schon in der zweiten Runde des Gegenseitig-Ansteckens mit irgendeiner blöde Erkältung. Jetzt genieß ich gerade mal, halbwegs atmen zu können, während ich ihm den heißen Tee einflöße, eh es wieder umgekehrt läuft.
- Dinge aus meiner Vergangenheit werden grade ein bißchen an die Öffentlichkeit gespült, was definitiv erfreulich, erstmal spannend und aufregend, aber, wie ich an meinen Träumen merke, auch aufwühlend und umtreibend ist. Ich bin dünnhäutig und grübelig und sinnsuchend und noch ratloser als sonst, aber auch seltsam stolz und berührt. Achterbahn.
... und wird wahrscheinlich auch das letzte Mal sein, daß ich als Leseempfehlung aufs Handelsblatt verweise; und ich tu es primär aus humoristischen Gründen.
Und darüberhinaus wahrscheinlich wieder Tage zu spät, weil es alle schon kennen.
Aber es ist einfach nützlich zu wissen, wem wir gegenüberstehen werden, wenn es zum „Clash of Civilizations“kommt zwischen der "Netzgemeinde" und "dem realen Leben", nicht wahr?
Nichts, was ich dazu schreiben könnte, ist so lustig und so schmerzhaft wie der Artikel selbst.
Bitte hier entlang:
Ansgar Heveling (CDU) im Handelsblatt-Gastkommentar.
Viel Spaß.
P.S.: Hier eine
plausible Antwort auf die plausible Frage: Warum drucken die sowas ab? Sind die bescheuert?